Die Sünde aber gebiert den Tod
gelten, so gibt es doch noch liebe Menschen, die an uns denken. Seht, ich war Amme in einem reichen Patrizierhaus. Das kleine Mädchen, das ich genährt habe, zog ich dann als Kinderfrau auf, und als sie erwachsen war, wurde sie meine Freundin. Sie hat mich nicht vergessen. Ach, sie war ein so kluges Kind, eine bezaubernde Frau, wenngleich die Männer große Scheu vor ihr hatten. Denn sie bildete sich gerne und auf vielen Gebieten. Und nie nahm sie ein Blatt vor den Mund, wenn sie mit ihren Brüdern und Vettern disputierte. Aber schlecht war sie nie. Nein, sie ist zu einer gütigen Frau herangewachsen. Sie hat mir in all den Jahren regelmäßig geschrieben und mir von sich und ihrer Familie berichtet. Unser alter Pfarrer hier hat mir immer ihre Briefe vorgelesen, aber den letzten trageich schon seit Anfang des Monats bei mir, ohne zu wissen, was darin steht. Pater Josefs Augen haben schlimm nachgelassen.«
»Gibt es denn sonst niemanden, der ihn Euch vorlesen kann?«
»Doch, aber nicht jeder muss wissen, was mir meine Bettina schreibt.« Frau Gerlis griff in ihr Gewand und förderte eine kleine Pergamentrolle aus den Falten ihres Rockes zutage. »Frau Almut, seid Ihr zufällig des Lesens kundig?«
»Ja, das bin ich.«
»Ihr seid eine Begine, und ich sehe, Ihr habt mitfühlende Augen. Lest ihn mir vor, bitte.«
»Ihr schenkt mir viel Vertrauen, Frau Gerlis.«
»Ich kenne die Menschen ein wenig«, kam es mit einem Hauch von Erheiterung hinter dem Schleier hervor.
Almut entrollte das Pergament und fand sich mit einer kühnen Handschrift konfrontiert. Sie brauchte einige Zeit, um das Schreiben zu entziffern, dann las sie jedoch ohne zu stocken vor, was jene Bettina zu berichten hatte. Es waren viele Begebenheiten, die Almut nichts sagten, Namen, mit denen sie keine Personen verband, Familientratsch, Berichte über Kleider und ein neues Buch. Dann aber kam etwas, das sicher nicht für jedermanns Ohren bestimmt war, und so senkte Almut etwas die Stimme, als sie vorlas, wie Bettina von der Geburt ihres Kindes schrieb, das ganz offensichtlich nicht einer ehelichen Beziehung entstammte, das sie aber innig liebte. »Du würdest das Mädchen sofort in Dein Herz schließen. Es ist ein vollkommenes kleines Geschöpf, und ganz unverkennbar mein Kind. Ganz unverkennbar! Ich habe es Gerlis genannt, nach Dir, liebe Freundin, und – nach seinem Vater!«
»Oh, wie gerne wäre ich jetzt bei ihr!«, seufzte Frau Gerlis. »Sie hat es sicher nicht leicht, der Vater kann sie nicht heiraten. Aber er scheint ein guter Mann zu sein, so wie sie ihn mir bisher geschildert hat. Und wisst Ihr, Frau Almut, wenn man hier lebt, dann verlieren auch manche Formen und Regeln ihre Wichtigkeit. Ob sie verheiratet ist oder nicht, ich sehe keine Sünde mehr darin, dass sie dieses Kind bekommen hat.«
»Solange sie es bei sich behält und dafür sorgt...« »Das klingt so bitter aus Eurem Mund, Frau Almut.« »Wir haben gerade ein Findelkind aufgenommen, das
seiner Mutter, die vermutlich in einer ähnlichen Lage
war, lästig war. «
»Ja. Das allerdings gibt es auch immer wieder. Aber Bettina würde ihr Kind nie hergeben. Ihre Familie mag zwar missbilligen, was sie tat, aber bei ihrem Bruder in Bonn ist sie gut aufgehoben. Nun sagt, was schreibt sie sonst noch?«
»Nur noch ein paar Grußworte.«
Als Almut geendet hatte, bedankte sich Frau Gerlis noch einmal und nahm das Schreiben wieder an sich. Dann schaute sie auf und richtete das Wort an jemanden hinter Almut.
»Oh, Evvi! Ich habe dich nicht kommen gehört. Was gibt es?«
In der Tür stand eine dralle Magd mit einem geröteten Gesicht unter ihrer etwas verrutschten Haube. Die Kälte oder eine heftige Gemütsbewegung hatten ihr diese Färbung verschafft.
»Der Hans von der Schmiergass ist gekommen. Er hat die Kleider mitgebracht. Viele diesmal, und schöne Stoffe sind dabei!«
»Ja, das Christfest macht großzügig. Sag ihm, er solldie Sachen in den Hof bringen. Wir sind hier für heute fertig. Ach, und Evvi, das hier ist Frau Almut, eine Begine vom Konvent am Eigelstein. Sie hat uns Kräutertropfen und Salben versprochen. Lass dir den Weg von ihr erklären und einen Zeitpunkt nennen, wann du die Arzneien abholen sollst!«
Meister Krudener und Gertrud hatten ihre Unterhaltung ebenfalls beendet, und nach ein paar erklärenden Worten an die Magd verabschiedeten sich die beiden Beginen, um in ihr Heim zurückzukehren.
»Er ordnete an, ich solle noch mindestens eine Woche das Bett
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