Die Teerose
Farne füllten die Ecken. Selbst der Boden war mit weichem grünem Gras belegt. Der Tisch in der Mitte des Raums war mit weißem Leinen gedeckt und ebenfalls mit Rosen dekoriert, und auch um die Arme zweier hoher silberner Kerzenständer waren Rosen gewunden. Zwei Fenstertüren an der anderen Seite des Raums ließen die warme Sommerluft und das Mondlicht hereinströmen. Fiona konnte kaum glauben, was sie sah, und sich nicht vorstellen, wie jemand dies zustande gebracht haben konnte. Ein Gefühl des Unwirklichen überkam sie, so daß ihr schwindelte. Sie war aus ihrer Welt herausgetreten – wo Leute mit den Händen arbeiteten, Bier tranken und Würste aßen – und in Wills Welt eingedrungen, wo man aus einer Laune heraus ein Restaurant in einen Garten verwandelte. Für eine Nacht. Es war wie ein Traum, wie das Werk von Feen. Aber das stimmte nicht. Will hatte das veranlaßt.
Sie wandte sich ab, beugte sich über einen Strauß Moosrosen und atmete ihren Duft ein, um ihre Bewegung zu verbergen. Joe hatte ihr eine Rose geschenkt. Auf den Old Stairs. Eine einzige Rose. Sie hatte ihm ihr Herz geschenkt, ihre Träume, ihr Leben. Dies alles hatte ihm nichts bedeutet, und er hatte alles zerstört. Will hatte sie so gut wie nichts geschenkt – ein bißchen Unterhaltung, Lachen, eine angenehme Stunde. Und er hatte es ihr so vergolten. Nur weil sie Rosen mochte.
»Gefällt es Ihnen, Fiona?« fragte er leise.
Mit einem strahlenden Lächeln drehte sie sich zu ihm um. »Gefallen? Will, es ist wundervoll! Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. So was Schönes hab ich noch nie gesehen.«
»Wenn Sie mich für einen Moment entschuldigen«, sagte Mary taktvoll und wandte sich zur Tür.
Will wartete, bis sie den Raum verlassen hatte, dann reichte er Fiona eine Rose. Er stand ganz nahe bei ihr, und bevor sie wußte, wie ihr geschah, nahm er sie in die Arme und küßte sie. Und das Gefühl seiner Lippen, sanft, aber drängend, löschte alle Gedanken an Joe aus, vertrieb alle Trauer, alle Sehnsucht. Gerade als sie anfing, seinen Kuß zu erwidern, sagte eine Stimme an der Tür: »Champagner vor dem Dinner, Sir? Ah! Verzeihen Sie bitte.«
Will ließ sie los. Verlegen trat sie von ihm weg und glättete ihren Rock. »Eine Flasche Heidsieck bitte«, antwortete er.
»Sehr wohl, Sir.«
Der Kellner ging. Gerade als Will sie wieder an sich ziehen wollte, hörten sie Marys Schritte.
»Gütiger Himmel! Ich komme mir vor, als wäre ich wieder sechzehn«, brummte er.
Nachdem Mary zurückgekehrt war, brachte der Kellner den Champagner, und sie setzten sich. Genau wie an jenem ersten Abend, als sie zusammen spazierengegangen waren, fühlte sich Fiona von Will kein bißchen eingeschüchtert, sondern empfand ihn als angenehmen Gesprächspartner. Mary war reizend und fröhlich, und alle drei kamen prächtig miteinander aus. Sie plauderten während des ganzen Dinners, das mit Austern begann, gefolgt von Schildkrötensuppe, Stubenküken in Trüffelcremesoße mit Duchesse-Kartöffelchen und grünen Bohnen, danach Newburg-Hummer und schließlich ein chaud-froid, das Dessert, für das Delmonico’s berühmt war.
Und während des langen, ausgiebigen Mahls überkam Fiona ein ganz neues, wundervolles Gefühl, das sie noch nie verspürt hatte – das Gefühl, umsorgt und vor der Welt und all ihren Sorgen beschützt zu werden. Sie sah Will an, der ihr gerade Ratschläge für ihren Teeladen gab, und dachte, wie gut er doch aussah. Er war der bestaussehende, eleganteste Mann, den sie je gesehen hatte. Sie ließ den Blick über ihn streifen, über das dichte braune Haar, den lächelnden Mund, das kräftige Kinn. Sogar seine Körperhaltung war schön, aufrecht mit geraden Schultern. Sein Kragen war schneeweiß und gestärkt, seine Krawatte erstklassig gebunden. Sein schwarzes Dinnerjackett paßte wie angegossen. Sie dachte an ihren Vater in seiner geflickten Joppe aus zweiter Hand. Und an Charlies Jacke, wo die Ellbogen durchgescheuert waren, und an die von Joe mit den blauen Einsprengseln, die zu seinen Augen paßten …
Immer wieder Joe, verdammt. Sie hatte sich geschworen, nicht mehr an ihn zu denken, und jetzt drängte er sich wie ein ungebetener Gast ständig dazwischen. Ganz so, als säße er mit am Tisch, würde alles beobachten, zuhören und höhnisch lächeln. Sie sah ihn förmlich vor sich, wie er sich zu ihr beugte und sie hinterhältig fragte, ob Wills Kuß genausogut geschmeckt habe wie der seine.
»Ich halte eine Teestube für eine
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