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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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setzte sich wieder.
    »Verstehst du, Fiona, das ist der Grund, warum ich nicht in die Kirche geh.«
    Fiona nickte und nahm alles aufmerksam in sich auf, was ihr Vater gesagt hatte.
    »Deine Mutter will so was natürlich nicht hören«, fuhr Paddy fort und sah seine Älteste ruhig an. »Vielleicht ist es besser, wenn du das alles für dich behältst. Die Kirche bedeutet ihr sehr viel.«
    »Ja, Pa.« Sie würde es ganz sicher für sich behalten. Ihre Mutter war sehr fromm, verpaßte nie die Messe und betete jeden Morgen und jeden Abend den Rosenkranz. Sie glaubte, daß Priester über jeden Zweifel erhaben waren, daß sie das Wort Gottes verkündeten und dem Herrn nahestanden. Fiona hatte dies genausowenig angezweifelt, wie sie an der Existenz des Himmels oder Gottes gezweifelt hätte.
    »Pa …«, begann sie zögernd. Ein beängstigender Gedanke war ihr gekommen.
    »Ja, Fee?«
    »Auch wenn du die Priester und die Kirche nicht magst, du glaubst doch an Gott, oder?«
    Paddy dachte eine Weile nach und sagte dann: »Weißt du, was ich glaube, Mädchen? Ich glaub, daß drei Pfund Fleisch einen guten Eintopf ergeben.« Er schmunzelte über ihre verwirrte Miene. »Ich glaub auch, daß es Zeit für dich ist, ins Bett zu gehen, Schatz. Sonst schläfst du morgen bei der Arbeit ein. Also geh jetzt, ich räum das Teegeschirr weg.«
    Fiona wollte nicht ins Bett gehen, sondern bei ihrem Vater bleiben und ihn fragen, was er mit den drei Pfund Fleisch gemeint hatte. Aber er nahm bereits die Teekanne und sah zu müde aus, um noch weiterreden zu können. Sie gab ihm einen Gutenachtkuß und kehrte ins Bett zurück.

   3   
    D ichter Nebel umhüllte die Gaslampen der High Street und dämpfte ihr Licht, als Davey O’Neill Thomas Curran ins Lagerhaus von Oliver’s folgte. Es war gefährlich, in einer Nacht wie dieser durch die Docks zu gehen. Ein falscher Schritt, und man fiel in den Fluß, ohne daß einen jemand hörte, aber das Risiko nahm er in Kauf. Der Vorarbeiter hatte einen Job für ihn, eine kleine Nebenbeschäftigung. Gestohlene Waren transportieren vermutlich. Mit derlei Dingen wollte er zwar nichts zu tun haben, aber er hatte keine Wahl. Lizzie war krank, und er brauchte das Geld.
    Curran schloß die Seitentür hinter sich und tastete nach einer Lampe. Ihr Schein erleuchtete einen Weg durch die Stapel der Teekisten bis zu den Türen, die zum Wasser hinausgingen. Wieder draußen, sah Davey, daß der Nebel die ganze Themse bedeckte und auch über den meisten Docks lag. Er fragte sich, wie jemand in dieser Dunkelheit Oliver’s überhaupt finden sollte, ganz zu schweigen davon, mit einem Boot anzulegen und es zu entladen. Er blieb einen Moment stehen und wartete, daß Curran ihm sagte, was zu tun sei, aber Curran sagte kein Wort. Er zündete sich bloß eine Zigarette an und lehnte sich an die Tür. Davey sah ihn an und stellte fest, daß er nicht zurückgehen konnte, falls er dies gewollt hätte – nicht wenn der Mann die Tür auf diese Weise blockierte. Bei dem Gedanken wurde ihm unbehaglich.
    »Kommt denn sonst niemand mehr, Mr. Curran?« fragte er.
    Curran schüttelte den Kopf.
    »Soll ich ein paar Haken holen? Ein Tau?«
    »Nein.«
    Davey lächelte unsicher. »Was soll ich dann tun?«
    »Ein paar Fragen beantworten, Mr. O’Neill«, sagte eine Stimme hinter ihm.
    Davey fuhr herum, aber es war niemand da. Die Stimme schien aus dem Nebel selbst zu kommen. Er wartete, lauschte auf das Geräusch von Schritten, hörte aber nichts als das Schwappen des Wassers, das gegen die Pfosten schlug.
    Ängstlich inzwischen, drehte er sich wieder zu Curran um. »Mr. Curran, Sir … was geht hier vor … ich …«
    »Davey, ich möchte dir deinen Arbeitgeber vorstellen«, sagte Curran und machte mit dem Kopf ein Zeichen nach rechts.
    Davey hob den Blick und sah eine Gestalt aus dem Nebel auftauchen – einen Mann mittlerer Größe, kräftig gebaut. Sein schwarzes Haar war aus der Stirn gekämmt, er hatte dichte Brauen und schwarze Raubtieraugen. Davey schätzte ihn auf Mitte Vierzig. Seine Kleider verliehen ihm das Aussehen eines Gentlemans – er trug einen schwarzen Kaschmirmantel über einem grauen Wollanzug, und an seiner Weste baumelte eine schwere goldene Uhr –, aber der Mann selbst hatte nichts von einem Gentleman an sich. Seine Haltung und sein Gesichtsausdruck kündeten von einer versteckten Brutalität, einer kaum beherrschten, unterschwelligen Gewalttätigkeit.
    Davey nahm seine Mütze ab und knitterte sie zwischen den

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