Die Teerose
in seinen Armen, wiederholte immer aufs neue, wie sehr er sie liebe, bis ihr ganzer Leib und ihre ganze Seele mit ihm verschmolzen. Sie rief seinen Namen, und als sie beide still lagen, begann sie zu weinen. Tiefes, heftiges Schluchzen erschütterte ihren Körper.
»Scht«, flüsterte er. »Alles ist gut, Liebes. Wein nicht …« Er löste sich von ihr, stützte sich auf einen Ellbogen auf und zog sie an sich.
Das Gefühl des Verlusts, das plötzliche Gefühl der Leere machte alles noch schlimmer. Nichts war gut. Sie wollte ihn wieder in sich spüren. Sie wollte nicht, daß es vorbei war. Sie wollte nicht zusehen müssen, wie er aufstand und wieder von ihr wegging. Sie wollte, daß sie beide so vereint zusammenblieben. Ein Windstoß fegte vom Fluß herüber. Sie zitterte. Er zog sie näher an sich.
»Bleib heut nacht bei mir«, sagte er. »Komm mit zu mir.«
Fiona fragte sich, ob sie richtig gehört hatte. »Mit zu dir nach Hause? «
Er küßte sie auf die Stirn. »Ja, jetzt gleich.«
»Bist du verrückt?«
Er sah sie verwirrt an. »Nein. Was ist denn? Wer sollte dich daran hindern?«
»Wer mich daran hindern sollte?« fragte sie verletzt. »Was ist mit Millie? Was ist mit deiner Frau?«
»Millie?« wiederholte er, immer noch verwirrt. Dann starrte er sie an. »Mein Gott, du weißt nicht …«
»Was weiß ich nicht?«
Er setzte sich jetzt ebenfalls auf. »Fiona, Millie und ich wurden vor fast zehn Jahren geschieden.«
»Was?«
»Wir haben uns vor unserem ersten Hochzeitstag scheiden lassen. Und dann hab ich versucht, dich zu finden. Ich bin nach New York gefahren und hab dich gesucht.«
»Du bist nach New York gefahren«, sagte sie tonlos.
»89. Unmittelbar vor deiner Hochzeit.«
Ihr wurde plötzlich schwindelig. »Verflucht«, murmelte sie.
»Ich glaub …«, sagte Joe und zog ihre Bluse zusammen, »ich glaub, wir hätten uns vorher unterhalten sollen.«
Joe lehnte sich an eine Wand von Oliver’s Wharf, die entlang der Old Stairs verlief, schüttelte den Kopf und lachte.
»Was ist?« fragte Fiona und biß in einen gesalzenen, mit Essig getränkten Chip. Sie saß neben ihm und aß den Fisch und die Chips, die er im Pub gekauft hatte.
»Du. Diese Nacht. Es ist alles das reinste Wunder.«
Sie lächelte scheu. »Ein Traum.«
»Aus dem ich nie mehr aufwachen möchte.«
»Ich auch nicht.«
Er sah weg, scharrte an einem bröckelnden Backstein, dann zog er sie plötzlich an sich und küßte sie. Sie lachte prustend und konnte seinen Kuß nicht erwidern, weil sie den Mund voller Essen hatte. Auch er lachte, dann sah er wieder weg. Sie waren ein wenig befangen, griffen im einen Moment nach der Hand des anderen oder sahen sich überwältigt an, um im nächsten zu erröten und sich verlegen abzuwenden. Sie waren sich so vertraut und dennoch so fremd.
Fast eine Stunde saßen sie auf den Old Stairs und redeten. Die Vorstellung, daß er in New York gewesen war, daß sie schon vor Jahren hätten zusammenkommen können, tat ihr in der Seele weh, aber diese Jahre waren verloren, weggeschwemmt wie Blätter auf dem Wasser. Und nichts würde sie zurückbringen. Aber jetzt waren sie hier. Vereint. Saßen wieder am Fluß zusammen.
Sie erzählte ihm alles, was ihr passiert war, angefangen von dem Tag, an dem er sie verlassen hatte, bis zu dem Zeitpunkt vor ein paar Stunden, als sie ihre Familiengräber besucht hatte und zum Fluß gegangen war. Auch er erzählte ihr alles. Über den Zusammenbruch seiner Ehe, sein Leben in einem Stall in Covent Garden, seine Überlegungen, wohin sie gegangen sein könnte, den Anfang seines Geschäfts, die Reise nach New York, um sie zu suchen, und all die leeren, einsamen Jahre, die darauf folgten. Er erzählte ihr, daß er nie aufgehört hatte, an sie zu denken, sie zu lieben, und sie sagte ihm dasselbe. Zwischendurch flossen Tränen, und manchmal herrschte gequältes Schweigen. Es war nicht leicht, über diese Dinge zu sprechen. Noch immer gab es Trauer, noch immer Zorn.
Aber es gab auch Freude. Fiona konnte es kaum fassen, daß dies wirklich Joe war, der da neben ihr saß. Der Mann, den sie liebte, den sie begehrte, aber auch ihr ältester Freund. Der Junge, mit dem sie aufgewachsen war, die Person, die sie besser kannte als sonst jemand auf der Welt.
Sie sah ihn an, als er jetzt aufs Wasser hinausstarrte. Seine Augen waren plötzlich so dunkel und hatten das Leuchten verloren, das kurz zuvor noch in ihnen gewesen war.
»Was hast du?« fragte sie und hatte plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher