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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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dort still, während das Tageslicht verging und ich entgegen jeder Hoffnung auf eine Antwort, auf eine Bestätigung wartete, dass diese andere Welt immer noch existierte, hier im Land der Skeptiker und Ungläubigen, der praktischen, erdverbundenen Menschen und – wie hatte Richard seinen Neffen genannt – zugeknöpften Idealisten? Das war ungerecht gewesen. Der Rote war schwer zu durchschauen; aber ich hatte gehört, wie er aus tiefstem Herzen sprach und von seiner Unsicherheit und Verwirrung redete. Ich wusste, dass er zornig und wild und ausgesprochen mutig sein konnte. Und man konnte ihm wehtun, genau wie mir. Sein Onkel wusste wenig von ihm, und eines Tages würde das Richard teuer zu stehen kommen.
    Es gab keine Antworten hier im Obstgarten. Falls das Feenvolk mich gehört hatte, ließ es mich das nicht wissen. Nicht, dass das viel zu bedeuten hatte, denn sie waren immer unzuverlässig gegenüber meiner Art. Nun, ich hatte gesagt, was ich sagen musste, und es würde genügen müssen. Zumindest für jetzt.
    ***
    Ob es eine ungeschickte Dienerin gewesen war, vom Wind aus dem Kamin geblasene Funken oder etwas Schlimmeres, konnte niemand je herausfinden. Ich wollte erst gar nicht daran denken, dass Lady Oonagh vielleicht dahinter steckte, denn das war eine zu erschreckende Idee. Als wir an jenem Abend beim Abendessen saßen, stocherte ich in Resten von Karotten und Rüben herum, Margery beobachtete mich eindringlich, und John und Ben unterhielten sich über die Schafschur. Ich kann mich nicht erinnern, was als Erstes geschah, ob ich den Rauch roch oder Megans Stimme hörte, als sie aus dem Flur hereingerannt kann.
    »Feuer! Es brennt, oben im langen Zimmer!«
    Dieser Haushalt war so diszipliniert wie sein Herr. Die Männer verließen ihre Plätze rasch und ohne Umstände. Eimer tauchten auf, und eine Kette wurde gebildet, während Lady Anne den Rest von uns nach draußen führte. John war beim ersten Wort kreidebleich geworden und die Treppe hinaufgerannt; er kam zurück mit seinem Sohn auf den Armen, sehr zu Margerys Erleichterung, denn ihre Zimmer waren nahe genug, um in Gefahr zu sein. Johnny war nicht glücklich darüber, so abrupt geweckt worden zu sein; sein Vater beruhigte ihn mit leisen Worten und reichte das Kind dann seiner Mutter und rannte zurück ins Haus. Wir warteten im Hof und sahen zu, wie der dunkle Rauch aus den oberen Fenstern quoll. Gestalten gingen vor dem flackernden Licht hin und her, und dann wurde der Rauch weiß, und schließlich war nichts geblieben als ein beißender Gestank in der Nachtluft. Das Feuer war rasch gelöscht worden. Es war kein großer Schaden geschehen.
    »Du solltest lieber mit nach oben kommen«, sagte der Rote, und er hatte einen grimmigen Zug um den Mund. »Du musst es selbst sehen. Ich fürchte, ich habe keine guten Nachrichten.«
    »Herr?« Einer der Diener stand wartend neben ihm. »Sollen wir alles jetzt sofort wegräumen?«
    »Noch nicht«, sagte der Rote. »Iss erst fertig und trink dein Bier. Ich helfe euch dann.«
    Ich folgte ihm hinauf in das lange Zimmer. Einen Augenblick lang waren wir dort allein. Das Feuer war gelöscht. Drunten räumten die Männer Eimer weg und kehrten wieder an den Abendbrottisch zurück.
    Es war ein sehr seltsames Feuer gewesen. Ein Ende des Raums war vollkommen unberührt. Dort stand Lady Annes Eichenstuhl mit der geraden, geschnitzten Lehne, dort ihr Stickrahmen mit der kunstvollen Arbeit. Dort waren die Wollkörbe und die Spinnwerkzeuge und die kleinen Handwebrahmen. Aber noch hing der beißende Geruch in der Luft, und am Ende des Zimmers, wo Margery und ich arbeiteten, war alles schwarz. Das Feuer hatte die Bodendielen angekohlt und die Bänke an den Wänden und die Dachbalken. Spinnen hingen leblos in Fetzen ihrer Netze. Meine Spindel und der Spinnrocken waren verkohlte Stöcke, mein Hocker ein Haufen Holzkohle. Der Korb, der den Rest meiner Mieren enthalten hatte, war nur noch Asche. Und dort, am Boden, kaum mehr zu erkennen, waren die Überreste von Finbars fast fertig gestelltem Hemd, das ich über den Korb gehängt hatte, um am nächsten Morgen gleich wieder mit der Arbeit zu beginnen. Wie im Traum hockte ich mich nieder und streckte die Hand aus, um es zu berühren. Es zerfiel unter meinen Fingern. Ich stellte mir Finbar vor, wie ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, zusammengesackt zwischen zweien seiner Brüder, als hätte man das Leben aus ihm herausgesogen. Ich sah seine Augen, einstmals ein tiefes, klares Grau wie

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