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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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lassen. Bisher hat es noch keine größeren Katastrophen gegeben.«
    Sendai war für mich nur der Name einer alten Stadt, in der Möbel hergestellt wurden, und so war ich überrascht zu erfahren, daß dies auch der Name einer aufstrebenden Elektrofirma war. Sendai hatte ihn wahrscheinlich zur Abwicklung seiner Geschäfte mit Übersee angestellt, eine zweifelhafte Aussicht angesichts der zusammenbrechenden Seifenblasenwirtschaft.
    »Glendinning-san ist ein guter Freund.« Mr. Nakamuras Lächeln war aalglatt, als er dem Schotten zunickte.
    »Und deshalb wollen wir Ihr erstes Sylvester in Japan mit Ihnen feiern«, fügte Mrs. Nakamura mit silberheller Stimme hinzu.
    »Setsuko weiß, daß diese Nacht für mich sehr einsam ist.« Hugh belohnte die Frau seines Chefs mit einem schiefen Lächeln. »In Schottland ist die Silvesternacht die wildeste aller Nächte. Und der erste Januar ist der beste Tag des Jahres, an dem sich die Leute traditionell eher freinehmen als an Weihnachten.«
    »Das klingt aber unchristlich.« Mrs. Chapman runzelte die Stirn, wie sie es auch angesichts der Schilder für das Badezimmer getan hatte.
    »Wir haben schließlich auch heidnische Wurzeln!« meinte Hugh fröhlich. »In einer der kleinen Ortschaften rennen die Leute immer noch mit Fackeln durch die Straßen, und an Silvester trinken wir uns von Haus zu Haus. Niemand schließt die Tür ab, weil die Feiern bis in den Morgen dauern.«
    »Der Silvesterabend gehört in Japan der Familie«, sagte Setsuko Nakamura, die alle außer mir mit einem wohlwollenden Blick bedachte. »Wir sind mit denen zusammen, denen wir nahestehen, und essen Neujahrsgerichte, die Glück verheißen. Diese langen Nudeln zum Beispiel feiern den Jahreswechsel. Gemüse und Obst stehen für die Ernte vom Feld und aus den Bergen.«
    »Ungefähr so wie das amerikanische Thanksgiving?« Mrs. Chapman betrachtete ihren Teller mit neuem Interesse.
    »Nicht ganz. Es geht um, wie sagen Sie noch, Fruchtbarkeit … kleine runde Dinge wie die schwarzen Bohnen und die Fischeier stehen für die Hoffnung auf die Geburt vieler Kinder«, antwortete Setsuko.
    »Fischeier?« stammelte Mrs. Chapman.
    Ich hatte schon vorher auf dem winzigen Rogen herumgekaut; für mich war das eine billigere Version des Beluga, den meine Eltern wahrscheinlich bei ihrer Feier in San Francisco servierten.
    »Es werden nicht genügend Kinder geboren«, erzählte uns Mr. Nakamura. »Die Regierung weiß, daß das ein Problem ist – sie unterstützt Familien mit mehr als zwei Kindern sogar mit einem geringen Betrag. Aber es reicht kaum für eine Tüte Lebensmittel.«
    »Das stimmt. Ich kann gar nicht ans Heiraten oder ans Kinderkriegen denken, bevor ich nicht vier Millionen Yen auf der Bank habe!« scherzte Mr. Yamamoto.
    »Da müssen Sie aber noch viel härter bei Sendai arbeiten. Und was Ihr Geschick mit Frauen betrifft, gilt das gleiche«, gackerte Mr. Nakamura, und sein Untergebener errötete verlegen.
    »In Amerika haben wir das gleiche Problem«, sagte Mrs. Chapman. »Es kostet viel Geld, Kinder großzuziehen. Aber meiner Meinung nach ist eine Familie ohne Nachwuchs einfach keine richtige Familie. Ich habe selbst zwei großgezogen, aber leider habe ich nur eine Enkeltochter! Sie ist mein ein und alles.«
    »Es ist sehr traurig, wenn man keine Kinder hat. Ich selbst hatte nicht das Glück.« Setsuko Nakamura versuchte zu lächeln.
    »Sie sind doch noch recht jung!« tröstete Hugh sie.
    »Meine Frau redet zu viel, wie ein Narr«, schnauzte Mr. Nakamura. »Ich trage sie mit mir wie einen Fluch, sogar im Urlaub!«
    Er sprach Englisch, damit ihn jeder verstand. Ich spürte, wie Mrs. Chapman neben mir starr wurde. Hughs Gesicht färbte sich dunkler, aber er sagte nichts.
    Vielleicht war Mr. Nakamura nur schlecht gelaunt. Trotzdem hielt ich es für unverzeihlich, so über seine Frau zu sprechen. Ich warf Setsuko einen verstohlenen Blick zu, die das rohe Fleisch vorsichtig mit den Eßstäbchen zerteilte. Obwohl ihr Gesichtsausdruck keine Regung verriet, spürte ich doch, daß etwas von ihr ausstrahlte, ein tiefsitzender Schmerz. Der junge Mr. Yamamoto fing an, über touristische Unternehmungen zu plaudern, aber es war zu spät, um die betretene Atmosphäre, die sich über uns alle gelegt hatte, wieder aufzulösen.
     
    Nach dem Essen trug Mrs. Yogetsu einen kleinen Fernseher in ihr makelloses Wohnzimmer, stellte ihn ein und ging. Ich setzte mich mit Mrs. Chapman auf die Kissen, die auf dem Boden lagen,

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