Eine Liebesehe
Erster Teil
Die Junilandschaft Pennsylvaniens war voller Bilder. Der junge William Barton saß auf einem niedrigen Hügel unter einer alten Esche und betrachtete sie. Er konnte keine Wahl treffen, welches er malen sollte. Er saß im Grase und hatte die Arme um die Knie geschlungen. Zu seiner Rechten war der Delaware, ein glatter Silberfluß zwischen grünen Ufern. Zu seiner Linken lag ein Tal, darin ein Städtchen sich versteckte, von dem man nur Kirchtürme und schräge Dächer inmitten von Bäumen sah. Unter ihm war ein Bauernhof: weidende Kühe, ein welliges Weizenfeld, eine rote Scheune und ein altes, steinernes Farmhaus. Auf einem Acker rotbrauner Erde pflügte ein Bauer.
In diesem Augenblick öffnete sich die Türe des Bauernhauses, und ein Mädchen in blauem Kleide und weißer Schürze trat in den Sonnenschein heraus. In der Hand trug es eine Glocke, die es mit weitausholender, kräftiger Bewegung läutete. Der Klang drang klar und voll den Hügel herauf.
Ist es denn schon Mittag? fragte sich William. Er hatte keine Uhr bei sich, weil er immer sagte, er wolle beim Malen nicht wissen, wie spät es sei. Aber wenn es schon Mittag war, dann hatte er den Morgen verstreichen lassen, ohne das geringste getan zu haben. Er schaute durch das grüne Laub in die Höhe. Die Sonne stand in der Himmelsmitte über dem Wipfel des Baumes, und außerdem verspürte er Hunger. Der Vormittag war vorbei.
Mit einem Gefühl leichter Beschämung erhob er sich, ergriff seinen Malkasten und die zusammenlegbare Staffelei und ging den Hügel hinab auf das Bauernhaus zu. Er wollte dort um Mittagessen bitten, und dann fand er vielleicht zur Beruhigung seines Gewissens in der näheren Umgebung der Farm das Bild, das er sich wünschte und das er in all der Vielfalt der üppigen Landschaft nicht hatte erblicken können.
Er überquerte die Wiese und schritt über einen schmalen, von niedrigen, unregelmäßigen Eibenhecken gesäumten Pfad auf die Tür zu, durch die das Mädchen ins Haus zurückgekehrt war. Als er näher kam, nahm er Bratenduft wahr, und ein plötzlicher Heißhunger erfaßte ihn. Er mußte etwas essen, ob er nun gearbeitet hatte oder nicht. Er klopfte an die holländische Türe, deren oberer Teil offen war, und wartete. Er war ohne Hut, weil er nie einen solchen trug, wenn er über Land ging. Jemand näherte sich der Türe. Er hörte hurtige, feste Schritte auf einem nackten Fußboden, Schritte, wie sie ein kräftiges junges Mädchen machen würde. Dann sah er es durch die schattige Halle kommen, und schon stand es in der halboffenen Türe.
»Was wünschen Sie?« erkundigte es sich.
Es war dasselbe Mädchen. Er erkannte das blaue Kleid, die weiße Schürze. Aber da ihm jetzt das rosige Gesicht nahe war, sah er, daß es blaue Augen und braunes Haar hatte und daß es sehr hübsch war. Die großen, ruhigen Augen blickten ihn unverwandt an, indes es auf seine Antwort wartete.
»Könnten Sie …«, begann er, »ich meine, hoffentlich finden Sie es nicht ungehörig von einem Fremden, aber ich sah zufällig, wie Sie läuteten, und da wurde ich plötzlich hungrig. Wäre es Ihnen möglich, mir etwas zu essen zu geben?«
Das ziemlich entschlossene junge Gesicht des Mädchens blieb ernst. Für einen Landstreicher ist er zu gut angezogen, überlegten seine offenen Augen. Außerdem spricht er nicht wie ein Landstreicher.
»Wir teilen keine Mahlzeiten aus«, sagte es zweiflerisch.
William lachte. Er hatte die klaren kleinen Gedanken erkannt.
»Ich bin ein durchaus ehrbarer Mensch«, erwiderte er. »Ich bin nur auf einem Malausflug. Und ich möchte mein Essen bezahlen.«
Die rotweiße Haut wurde von Blut Übergossen. »Das ist es nicht«, sagte das Mädchen. »Es ist bloß … warten Sie einen Augenblick, ich will meinen Vater fragen.«
Es verschwand, und William wartete; derweilen blickte er sich vergnügt um. Das Haus war aus Feldsteinen erbaut, braun und dunkelrot und mit verwittertem Gold geädert. Im Schornstein war eine ovale Platte aus weißem Marmor eingelassen, darauf stand: T.H. und M.H. 1805. Über das Vordach rankte sich vollbelaubter wilder Wein, aber er blühte noch nicht.
»Treten Sie ein!« rief eine Männerstimme.
William drehte sich mit einem leichten Lächeln um. Ein graubärtiger Farmer schritt auf die Türe zu. »Kommen Sie herein und essen Sie mit uns!« rief er. Er öffnete den unteren Teil der Türe und stand da, eine untersetzte Gestalt in blauem Baumwollanzug. Sein Hemd war am Hals offen und ließ
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