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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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Erinnerungen sein, mit deren Erzählung er seine Freunde in Palma unterhalten konnte.
    Ein Schrei unterbrach seine Gedanken. Nicht so laut wie in der ersten Nacht, schien er aus der Ferne zu kommen. Dennoch sagte Jaime sein Gefühl, daß sein Feind in den Tamarisken verborgen war. Wieder ertönte das langgezogene Heulen, aber gedämpft, alsob der Gegner, in der Befürchtung, auch von anderen gehört zu werden, die Hände wie einen Schalltrichter um den Mund gelegt hätte und seinen Schrei so in der Richtung des Turmes ausstieße.
    Nach der ersten Überraschung lachte Jaime lautlos vor sich hin. Er dachte nicht daran, sich zu rühren. Was scherten ihn jetzt noch diese wilden Gebräuche, diese rohe Herausforderung?
    »Heule, du Bandit, bis du deine Stimme verlierst. Ich bin taub.«
    Um sich abzulenken, versenkte er sich in die lange Liste seiner Gläubiger, von denen einige ihn an stürmische Auftritte oder groteske Szenen erinnerten.
    Doch jedesmal, wenn nach längerer Pause der rauhe Schrei das Schweigen durchbrach, zuckte Febrer vor Ungeduld und Zorn zusammen. Beim Himmel! Sollte er die ganze Nacht bei dieser Serenade verbringen?
    Vielleicht bemerkte der Feind einen Lichtschimmer, der durch die Ritzen der Tür drang, und bestand deswegen auf seiner Provokation. Er löschte die Kerze; ging zu seinem Lager und dehnte seinen Körper wohlig auf der weichen Matratze.
    Wie in der vergangenen Nacht hatte er Tisch und Stühle vor die Tür gerückt. Solange die Schreie ertönten, drohte ihm keine Gefahr. Plötzlich fuhr er aus seinem Halbschlummer empor. Draußen war alles ruhig. Dieses geheimnisvolle Stillschweigen war beunruhigender als die lauten Äußerungen des Feindes.
    Den Kopf vorstreckend, glaubte er ein leises Knacken zu hören, als ob jemand die hölzerne Treppe heraufschliche und auf jeder Stufe eine lange Pause machte.
    Jaime suchte den Revolver und behielt ihn in derHand. Das Geräusch auf der Treppe verstummte. Eine ganze Weile blieb es still. Dann raunte eine Stimme, leise, nur für ihn. Es war der Ferrer. Er gab sich zu erkennen. Er forderte Don Jaime auf, herauszukommen, schimpfte ihn Feigling und überhäufte ihn und die ganze verfluchte Insel Mallorca mit Beleidigungen.
    Unüberlegt sprang Febrer so heftig auf, daß die Matratze laut krachte. Aber seine Erregung kam ihm lächerlich vor. Konnte dieser Lümmel ihn überhaupt beleidigen? Das beste war, sich wieder niederzulegen.
    Lange Zeit blieb es still, als wartete der Vèrro, der das Krachen der Matratze gehört hatte, darauf, daß Febrer erschiene. Dann ertönte seine Stimme nochmals:
    »Heraus mit dir, du Sohn einer H...!«
    Bei dieser ungeheuerlichen Beleidigung zitterte Febrer am ganzen Körper. Seine Mutter, seine arme Mutter, diese blasse, kranke Heilige mit der infamsten aller Schmähungen von diesem elenden Sträfling besudelt! ...
    Unwillkürlich wandte er sich zur Tür, stieß aber nach wenigen Schritten an die vor ihr aufgerichtete Barrikade.
    »Nein, nicht durch die Tür!«
    Auf der schwarzen Wand zeichnete sich unklar ein bläulichen Rechteck ab. Jaime hatte leise das Fenster geöffnet.
    Er stieg auf die Brüstung und kletterte langsam hinab, behutsam vermeidend, daß kleine Steinchen herabfielen und ihn verrieten.
    Unten angekommen, zog er den Revolver aus dem Gürtel und schlich, mit der linken Hand am Bodentastend, vorsichtig um den Turm. Seine Füße verwickelten sich in den Wurzeln der Tamarisken, die, vom Seewind entblößt, wie ein Gewirr schwarzer Schlangen auf dem Sande lagen. Jedesmal, wenn er strauchelte oder festsaß und seinen Fuß mit einem Ruck befreien mußte, jedesmal, wenn ein Steinchen kollerte oder knirschte, machte er halt und hielt den Atem an. Er bebte vor Erregung; nicht aus Angst, sondern in der Unruhe des Jägers, der befürchtet, nicht mehr zum Schuß zu kommen. Wenn es ihm doch gelänge, unvermutet über diesen Schurken herzufallen, im Moment, in dem er in der Nähe der Tür mit halblauter Stimme seine tödlichen Beleidigungen ausstieß!
    Wie ein Tiger schlich er sich näher und konnte endlich die untersten Stufen, dann auch die ganze Treppe sehen. Noch ein Stückchen weiter, und vor seinen Augen erschien die dunkle Tür, die sich von dem im Sternenlicht weißschimmernden Turme scharf abhob. Aber umsonst spähte Jaime mit angestrengter Aufmerksamkeit umher. Der Feind war verschwunden.
    In seiner Überraschung richtete er sich empor und warf einen forschenden Blick auf die dunkle Masse des Buschwerks, das sich den

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