Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
Vom Netzwerk:
Dunkelheit im Zimmer wurde nur durch das brennende Ende der Zigarre, das bei jedem Zuge aufleuchtete, unterbrochen. Die Flinte lag in Reichweite, und der Revolver steckte im Gürtel. Mit seinem an die Geräusche der Nacht gewöhnten Ohr lauschte er angestrengt auf einen außergewöhnlichen Laut.
    Nach einer Zeit, die ihm endlos vorkam, schaute er beim Glimmen der Zigarre auf das Zifferblatt seiner Uhr. Erst zehn! Aus der Ferne klang Gebell an sein Ohr, und er glaubte, den Hund von Can Mallorqui zu erkennen. Vielleicht hatte das wachsame Tier jemanden gewittert, der in der Nähe des Turms umherstrich. Dann war es zweifellos sein Feind, der sich, abseits vom Wege, vorsichtig durch das Gebüsch heranschlich.
    Er richtete sich halb auf und ergriff die Flinte, um beim ersten Schrei aus dem Fenster zu steigen.
    Aber die Minuten verrannen. Nichts! Febrer wollte nochmals nach der Uhr sehen, doch seine Händegehorchten nicht mehr. Sein Kopf war auf das Kissen zurückgefallen. Seine Augen schlossen sich, und von Müdigkeit überwältigt, schlief er ein.
    Erst die Strahlen der aufgehenden Sonne, die durch die Fensterritzen hereindrangen, weckten ihn aus tiefem, festem Schlaf.
    In froher Stimmung erhob er sich und rückte die Möbelbarrikade vor der Tür beiseite. Jetzt bei hellem Tageslicht lachte er über diese Vorsichtsmaßregel, die ihm ein wenig wie Feigheit vorkam. Die Frauen von Can Mallorqui hatten ihn mit ihrer Angst angesteckt. Wer sollte auch noch zum Turme kommen? Jetzt war er auf der Hut und würde jeden mit Schüssen empfangen. Die Abwesenheit des Ferrer von der Schmiede und die Ruhe der vergangenen Nacht machten ihn nachdenklich. Sollte eine seiner Kugeln den Vèrro doch getroffen haben? ...
    Bis zum Mittag fischte er mit dem alten Ventolera im Kanal des Vedrá. Als er sich auf der Rückfahrt dem Turme näherte, sah er das Kaplanchen, das am Strande stand und mit hocherhobenem Arm etwas Weißes in der Luft schwenkte.
    Bevor die Barke noch auf dem Sande aufgelaufen war, rief der Junge aufgeregt:
    »Ein Brief für Sie, Don Jaime!«
    Auf diesem weltfernen Stückchen Erde bedeutete die Ankunft eines Briefes ein ungewöhnliches Ereignis. Febrer sprang an Land und betrachtete aufmerksam das Siegel und die Handschrift, die ihm bekannt vorkam.
    Pepet unterrichtete ihn unterdessen über alle Einzelheiten. Der Brief war in der vergangenen Nacht mit dem Postdampfer von Palma angekommen. Der Landbriefträger,der ihn vormittags brachte, hatte erzählt, der Dampfer würde morgen nach Mallorca zurückkehren. Wenn Don Jahne das Schreiben beantworten wollte, dürfte er keine Zeit verlieren.
    Auf dem Wege zum Turme öffnete Febrer den Umschlag und sah zuerst nach der Unterschrift: Pablo Valls. Der Kapitän brach endlich sein langes Stillschweigen mit einem ausführlichen Brief. Verschiedene Bogen Geschäftspapier waren eng beschrieben.
    Jaime lächelte. Schon bei den ersten Zeilen erkannte er die rauhe und überschäumende, sympathische und aggressive Persönlichkeit des Kapitäns. Während er las, glaubte er, die große, gebogene Nase zu sehen, den leicht ergrauten Backenbart, die hellen, gelblichen Augen und den schief sitzenden, verbeulten, weichen Filzhut.
    Der Brief fing ungemein drastisch an: »Mein lieber Schamloser«, und ging in diesem Stile weiter.
    »Das ist der Mühe wert«, murmelte Jaime fröhlich, »das muß ich in Muße lesen.« Und er steckte das Schreiben ein, mit dem Behagen eines Menschen, der sich ein Vergnügen für später aufbewahrt, um es voll auszukosten.
    Im Turm setzte er sich recht bequem an das Fenster und vertiefte sich in den Brief. Auf die ersten Seiten ergoß sich eine Flut von herzlichen Beleidigungen und Vorwürfen. Mit drolliger Zusammenhanglosigkeit sprach Pablo Valls von allem möglichen, wie jemand, der, lange zum Stillschweigen verurteilt, unter seiner unterdrückten Mitteilsamkeit gelitten bat. Er warf Febrer seine Abstammung und seinen Stolz vor, die ihn veranlaßten, zu fliehen, ohne sich von seinen Freunden zu verabschieden.
    »Schließlich, was soll man anders erwarten von einer Rasse von Inquisitoren! Meine Vorfahren wurden von den Deinigen verbrannt. Vergiß das bitte nicht! Aber gute Menschen unterscheiden sich von den schlechten durch ihre Handlungen. Ich, der Paria, der Chueta, der von allen verabscheute Heide, habe die bösen Taten Deiner Ahnen und Deinen Mangel an Vertrauen zu mir damit beantwortet, daß ich meine ganze Zeit der Regelung Deiner Angelegenheiten widmete. Davon wird

Weitere Kostenlose Bücher