Die Uhr der Skythen (German Edition)
Bäume, in denen das schwache Licht der Dämmerung erkennbar wird. Und als Fokko van Steen sich die Kapuze seines Mantels überwirft, den Rucksack auf den Rücken nimmt und fröstelnd den weiten Platz in einer Diagonalen durchmißt, fällt, von aller Welt unbeachtet, die erste Schneeflocke in den Garten des Bischöflichen Palais.
Kapitel 2
Der Wind ist träge geworden, ein paar Schneeflocken trudeln durch das bunte Licht, das der Hahn auf die verlassene Straße wirft, auf die verstreuten Reste der Feuerwerkskörper, die wie plattgefahrene Kleintiere aussehen, eine knallrote Spezies, die zum Jahreswechsel aus den Gärten und der Kanalisation gekrochen kommt, um sich in den ersten Stunden des neuen Jahres zerreißen zu lassen. Im linken Auge des Hahns spiegelt sich das fleckige Morgengrauen, das über den Gertrudenberg geschlichen kommt, durch das rechte Auge fließt das blaue Band eines Zuges, der jenseits der Hauptstraße nach Süden aufbricht. In der Einfahrt tropft etwas von der Decke, das Geräusch der Bahn versickert jenseits des Hasetorbahnhofs, und aus einem der Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist sehr stille, sanfte Tangomusik zu hören. Eine tiefe Sehnsucht bewohnt die Stadt in dieser Stunde. Alles ist geschehen und nichts ist begonnen.
Irgendwann in der Epoche der Verunsicherung, nach Ölpreisschock, Nachrüstung und Organverpflanzung, als man begriff, daß die Zeitläufte sich trotz aller Apfelbäume, die man zu pflanzen gedachte, unfehlbar zu Tode beschleunigten, daß nichts mehr Bestand haben würde, wenigstens nicht für das Maß des menschlichen Lebens, als die Guten die Flexibilität, die Mobilität und die Innovation zu Sakramenten erhoben und die Schlechten nicht folgen konnten, da kaufte Richard die Tankstelle von der Mineralölgesellschaft, der er einige Jahre in Treue gedient hatte. Günstig, wie er glaubte, kroch jeden Tag um sechs in der Frühe in seinen Phantasieoverall, setzte den neonbunten Zapfhahn in Gang, der sich wie ein Leuchtfeuer auf dem Dach der Station drehte: bei jedem Wetter, jedem Licht, in der dunklen Jahreszeit noch ehe in Nachbars Garten der echte Hahn krähte.
Ich bin nicht mehr Pächter, ich bin jetzt Besitzer, Tankstellenbesitzer, hatte er damals mit einem Stolz gerufen, den er bis heute nicht verloren hat. Ich brauche einen Namen, ein Logo, ein Image, warf er in die Feiergesellschaft, die sich um null Uhr im Pavillon drängte, um den Sieg über das Monopol zu feiern. RMT , Richard Meiers Tankstelle, schlug einer vor, aber das war der vorbesitzenden Mineralölgesellschaft zu ähnlich, deren Techniker noch am Abend die letzte Leuchttafel abgeschraubt und fortgeschafft hatten. Es kamen ein paar mehr oder weniger geistreiche Vorschläge, bis Schwamm, der große Schwamm, wie ihn damals jeder nannte und eigentlich keiner wußte weshalb, vielleicht, wie Fokko diskret dachte, weil er so tut, bis Schwamm das Wort »Schwachsinn« in den engen Raum setzte, sich ungeniert eine Dose Bier aus der Kühlung griff, sie mit einem Zischen in die erwartungsvolle Stille öffnete und lapidar feststellte, man müsse die Monopolisten nicht nachäffen, man müsse ihnen voraus sein.
Und wie, hatte der neugeborene Tankstellenbesitzer gefragt.
Richards Zapfhahn, hatte Schwamm gesagt und die Stimmung deutlich verbessert, alles lachte, aber er winkte lässig ab, nein, wie sagt der Ami einem Richard? Dick! Also, das Ding hier muß Dicks Zapfhahn heißen, am besten in einem Wort, mit großem Zapfhahn und ohne Apostroph. Er schrieb es auf einen Quittungsblock: DicksZapfhahn .
So und nicht anders. Schwamm zeichnete eine Zapfpistole mit Kamm, Kehllappen und Glotzaugen auf den Block, restaurierte nebenher die Architektur des Kassenhäuschen und empfahl, unbedingt nicht nur Benzin, Öl und Straßenkarten zu verkaufen, sondern auch Bier, Zigaretten, Zeitungen und Brötchen. Das war damals visionär, und der Nippes hat, wie Dick behauptet, ihm den Laden gerettet, denn es stellte sich bald heraus, daß das Mineralölgeschäft in der kleinen Seitenstraße wenig rentabel war. So aber war der Pavillon Treffpunkt und Kolonialwarenladen, aus der Waschhalle wurde eine Autowerkstatt, der neonbunt leuchtende Zapfhahn wurde zum Markenzeichen, und in seinen verchromten Augen spiegelte sich Dick Meiers kleine Welt.
Der Name der Station gab reichlich Anlaß für flache Witze, obszöne Anspielungen und alberne Kommentare, aber DicksZapfhahn war, wie der Chef gern und stolz erzählte, das Projekt
Weitere Kostenlose Bücher