Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
unerwartet in Tomas' Zimmer und sah, daß er einen Brief las. Er hörte, daß die Tür ging und schob den
Brief zwischen andere Papiere. Sie bemerkte es. Als er das Zimmer verließ, entging ihr nicht, daß er den Brief in seine Tasche gleiten ließ. Den Umschlag jedoch hatte er vergessen. Sobald Teresa allein zu Hause war, studierte sie ihn. Die Adresse war von unbekannter Hand geschrieben; eine sehr gefällige Schrift, die sie für die Handschrift einer Frau hielt.
Als sie sich später trafen, fragte sie ihn beiläufig, ob Post gekommen sei.
»Nein«, sagte Tomas, und Teresa wurde von einer Verzweiflung überwältigt, die um so schlimmer war, als Teresa nicht mehr daran gewöhnt war. Nein, sie dachte nicht, daß Tomas hier eine Geliebte hätte. Das war praktisch unmöglich. Sie wußte über jede freie Minute Bescheid. Doch hatte er offenbar in Prag eine Frau zurückgelassen, an die er dachte und an der er hing, obwohl sie den Geruch ihres Schoßes nicht mehr in seinem Haar zurücklassen konnte. Teresa glaubte nicht, daß Tomas sie wegen dieser Frau verlassen könnte, doch kam es ihr vor, als wäre das Glück dieser letzten zwei Jahre auf dem Dorf wieder durch eine Lüge getrübt.
Ein alter Gedanke kehrt wieder: Ihr Zuhause ist nicht Tomas, sondern Karenin. Wer wird die Sonnenuhr ihrer Tage sein, wenn er nicht mehr da ist?
Teresas Gedanken gingen in die Zukunft, in eine Zukunft ohne Karenin, und sie fühlte sich verlassen.
Karenin lag in einer Ecke und winselte. Teresa ging in den Garten. Sie blickte auf ein Stück Wiese zwischen zwei Apfelbäumen und sagte sich, sie würden Karenin dort beerdigen.
Sie grub den Absatz in die Erde und zog ein Rechteck im Gras. Das würde der Platz für sein Grab sein.
»Was machst du da?« fragte Tomas. Er hatte sie genauso überrascht, wie sie ihn ein paar Stunden zuvor beim Lesen des Briefes.
Sie gab keine Antwort. Er sah, daß ihr nach langer Zeit wieder die Hände zitterten und nahm sie in die seinen. Sie riß sich los.
»Ist es das Grab für Karenin?«
Sie antwortete nicht.
Ihr Schweigen machte ihn gereizt. Er explodierte: »Du hast mir vorgeworfen, ich dächte in der Vergangenheit an ihn! Und was machst du? Du willst ihn bereits begraben!«
Sie drehte ihm den Rücken zu und kehrte ins Haus zurück.
Tomas ging in sein Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
Teresa öffnete sie wieder und sagte: »Wenn du auch sonst nur an dich denkst, so könntest du wenigstens jetzt an ihn denken. Er hat geschlafen und du hast ihn aufgeweckt. Nun wird er von neuem zu winseln anfangen.«
Sie wußte, sie war ungerecht (der Hund schlief nicht), sie wußte, sie benahm sich wie die gemeinste aller Frauen, die verletzen wollte, und wußte wie.
Tomas betrat auf Zehenspitzen das Zimmer, in dem Karenin lag. Sie wollte ihn jedoch nicht mit ihm allein lassen. Sie beugten sich beide über ihn, jeder von einer Seite. Diese gemeinsame Bewegung war jedoch keine Geste der Versöhnung. Im Gegenteil. Beide waren allein. Teresa mit ihrem Hund, Tomas mit seinem Hund.
Ich fürchte, daß sie so, getrennt voneinander und jeder für sich allein, bis zum letzten Augenblick bei ihm verharren werden.
Warum ist für Teresa das Wort Idylle so wichtig?
Wir, die wir in der Mythologie des Alten Testaments erzogen worden sind, könnten sagen, die Idylle sei ein Bild, das als Erinnerung an das Paradies in uns erhalten ist. Das Leben im Paradies glich nicht dem Verlauf einer Geraden, die uns ins Unbekannte führte, es war kein Abenteuer. Es bewegte sich zwischen bekannten Dingen im Kreis. Seine Gleichförmigkeit war nicht Langeweile, sondern Glück.
Solange der Mensch noch auf dem Lande in der Natur lebte, umgeben von Haustieren, geborgen in den Jahreszeiten und deren Wechsel, war zumindest ein Widerschein der paradiesischen Idylle in ihm zurückgeblieben. Aus diesem Grunde hatte Teresa, als sie den Vorsitzenden der Genossenschaft in dem Kurort traf, plötzlich das Bild eines ländlichen Dorfes vor Augen (eines Dorfes, in dem sie nie gelebt hatte und das sie nicht kannte) und war wie verzaubert. Es kam ihr vor, als schaute sie zurück auf das Paradies.
Als Adam sich im Paradies über die Quelle neigte, wußte er nicht, daß das, was er sah, er selbst war. Er hätte Teresa nicht verstanden, die als Mädchen vor dem Spiegel stand und versuchte, durch ihren Körper hindurch die Seele zu sehen.
Adam war wie Karenin. Teresa amüsierte sich oft damit, daß sie ihn vor einen Spiegel führte. Er erkannte sein
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