Tango der Liebe
1. KAPITEL
Emily Fairfax stürmte durch den riesigen Ballsaal des Londoner Luxushotels und setzte sich kopfschüttelnd zu ihrem älteren Bruder Tom und seiner Frau Helen an den Tisch. „Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ihr dieses Kostüm für mich ausgesucht habt! Das ist mir so unendlich peinlich.“ Vor Verlegenheit waren ihre Wangen beinahe so rot wie das fragwürdige Outfit.
„Ach, nimm’s nicht so schwer.“ Tom grinste sie an. „Schließlich ist es ein Maskenball zugunsten Dads Lieblingsstiftung. Und das Motto ‚Engel und Teufel‘ passt doch prima zu dem Projekt ‚Schutzengel der Kinder Afrikas‘. Bei seinem Sinn für Humor hätte er es lustig gefunden. Erinnerst du dich noch an Mums vierzigsten Geburtstag? Da hat er darauf bestanden, dass sich alle als Ritter und Knappe verkleiden.“
„Das war auch sehr schön. Die meisten Frauen haben wie Jungs in Strumpfhosen ausgesehen. Aber das hier ist etwas ganz anderes.“ Mit blitzenden blauen Augen wandte Emily sich an ihre Schwägerin. „Es ist überhaupt nicht witzig, sich in einen roten Latexanzug zu zwängen, der mehrere Nummern zu klein ist. Was hast du dir bloß dabei gedacht, ihn für mich auszuleihen?“
Helen, eine zierliche Brünette, grinste spitzbübisch. Sie und Tom hatten sich an der Universität kennengelernt und vor zwei Jahren geheiratet. Inzwischen waren sie stolze Eltern einer einjährigen Tochter namens Sara – benannt nach Toms und Emilys Mutter, die drei Jahre zuvor an Krebs gestorben war. „Ich weiß gar nicht, worüber du dich beklagst. Du siehst super aus. Außerdem habe ich mich wirklich bemüht, die richtige Größe zu finden. Durch die neue Schwangerschaft habe ich dieselbe Oberweite wie du und habe es extra anprobiert, um sicherzugehen, dass es dir auch passt.“
„Dabei hast du anscheinend vergessen, dass ich fast zwanzig Zentimeter größer bin und sich der Stoff deshalb etwas mehr in die Länge ziehen muss. Du hast mir fast das Genick gebrochen, als du mir die Kapuze über den Kopf ziehen wolltest.“ Stöhnend rieb Emily sich den Nacken. „Das tut immer noch weh.“
„Gib mir nicht die Schuld. Wärst du wie geplant gestern zurückgekommen und nicht erst vor zwei Stunden, hättest du dich selbst um dein Kostüm kümmern können. Außerdem solltest du es heute am ersten April einfach etwas lockerer sehen. Und die Kapuze habe ich dir schließlich auch abgemacht, damit du stattdessen deine Hörner tragen kannst.“
Emily presste die Lippen zusammen, um ein Schmunzeln zu unterdrücken. Ihr war völlig entfallen, dass der erste April war, und sie hätte wirklich schon am Vortag von der Expedition in Santorin zurückkommen sollen. Aber sie wollte Helen nicht so leicht davonkommen lassen. „Jeder mit einem Funken Verstand hätte mir ein Engelskostüm besorgt – so eins wie deins, nebenbei bemerkt. Es ist doch logisch, dass die Frauen als Engel gehen und die Männer als Teufel. Wie mein idiotischer Bruder …“
„Entschuldigung.“ Eine tiefe Stimme mit leicht fremdländischem Akzent unterbrach Emilys gutmütige Rüge. „Hallo, Tom. Schön, dich wiederzusehen.“
„Antonio! Ich freue mich, dass du kommen konntest.“
Sie drehte sich zu dem Mann um, der sie so rüde unterbrochen hatte. Mit dem Rücken zu ihr zog er einen Stuhl für seine Begleitung heran – eine atemberaubende Brünette, die natürlich ein Engelskostüm trug, aus einem durchscheinenden goldenen Gewebe, das mehr enthüllte, als ein anständiger Engel jemals zeigen würde.
Emily tröstete sich damit, dass ihr Outfit sie zumindest von Kopf bis Fuß bedeckte, wenn auch der vordere Reißverschluss ein gutes Stück offen stand, damit sie überhaupt atmen konnte. Es entsprach keinesfalls ihrem üblichen Stil, ihren Körper in der Öffentlichkeit derart zur Schau zu stellen.
„Ich möchte euch meine Freundin Eloise und meine rechte Hand Miguel vorstellen“, fuhr die tiefe Stimme fort.
Die Brünette lächelte artig, und ein stämmiger Mann mittleren Alters wünschte höflich einen guten Abend und setzte sich neben Helen, während Antonio sich Emily zuwandte.
„Sie sind Emily, oder? Es ist mir eine große Freude, Sie endlich kennenzulernen. Ich bin Antonio Diaz.“ Was hat Tom ihm bloß über mich erzählt?, fragte sie sich verstimmt.
Doch als er ihr die Hand reichte, war ihr Kopf plötzlich wie leer gefegt, und ein Prickeln schoss von ihren Fingerspitzen den Arm hinauf. Hastig entzog sie ihm ihre Hand und sah ihm neugierig ins Gesicht.
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