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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Wir wollen Gustav nicht enttäuschen. Er ist uns immer eine Inspiration gewesen, und obwohl er nicht mehr unter uns weilt, soll sich nichts ändern. Wir haben ein mühseliges Stück Arbeit vor uns, das ist schon immer so gewesen, das wissen wir, und es wird auch jetzt nicht einfacher werden. Aber wir werden nicht von den einmal gesetzten Maßstäben abweichen, nicht einmal ein kleines bißchen. Wir werden einfach immer an Gustav denken, und wir werden nicht aufgeben. Natürlich, Ihre kleine Rede, Mr. Ryder, wenn es denn nur möglich gewesen wäre, die hätte... die hätte uns schon sehr helfen können, daran besteht gar kein Zweifel. Aber selbstverständlich, wenn es Ihnen in der Situation unangemessen erschien...«
    »Also hören Sie«, sagte ich und fing allmählich an, die Geduld zu verlieren, »Sie werden alle noch früh genug erfahren, was geschehen ist. Wirklich, es überrascht mich, daß Sie sich nicht einmal die Mühe gemacht haben, etwas mehr über die größeren Belange Ihrer Gemeinde in Erfahrung zu bringen. Außerdem scheinen Sie überhaupt keine Ahnung davon zu haben, was ich durchmachen mußte. Keine Ahnung von den immensen Verpflichtungen, die ich zu übernehmen hatte. Selbst in diesem Moment, in dem ich hier stehe und mit Ihnen rede, muß ich schon an meine nächste Verpflichtung in Helsinki denken. Wenn für Sie nicht alles so gelaufen ist wie geplant, tut mir das sehr leid. Aber Sie haben wirklich nicht das Recht dazu, mich hier so zu belästigen...«
    Die Worte verklangen in meinem Mund. Etwas weiter weg zu meiner Rechten führte ein Pfad von dem Konzertsaal weg in den umliegenden Wald. Seit einer ganzen Weile schon sah ich einen beständigen Strom von Leuten aus dem Gebäude herauskommen und zwischen den Bäumen verschwinden – wahrscheinlich waren sie auf dem Weg nach Hause, um noch ein paar Stunden zu ruhen, ehe der Tag begann. Jetzt entdeckte ich Sophie und Boris unter ihnen, zielbewußt gingen sie den Pfad entlang. Der Junge hatte wieder einmal schützend den Arm um seine Mutter gelegt, doch ansonsten gab es nichts an ihnen, was die Aufmerksamkeit des zufälligen Betrachters auf ihren Kummer gelenkt hätte. Ich versuchte, den Ausdruck auf ihren Gesichtern zu erkennen, aber die beiden waren zu weit weg, und im nächsten Moment waren sie auch schon hinter den Bäumen verschwunden.
    »Tut mir leid«, sagte ich etwas sanfter und drehte mich wieder zu den Hoteldienern um, »aber Sie müssen mich jetzt entschuldigen.«
    »Wir werden nicht von den einmal gesetzten Maßstäben abweichen«, sagte der bärtige Hoteldiener leise, wobei er immer noch auf den Boden schaute. »Eines Tages werden wir es schaffen. Sie werden schon sehen.«
    »Entschuldigen Sie mich.«
    Ich wollte gerade weggehen, als der Kellner wieder angelaufen kam, wobei er die alten Männer zur Seite drängte, um an seinen Servierwagen zu gelangen. Da fiel mir der Teller wieder ein, den ich immer noch auf dem Rücken hielt, und warf ihn dem Kellner entgegen.
    »Der Service heute morgen war wirklich grauenhaft«, sagte ich kühl, bevor ich davoneilte.

ACHTUNDDREISSIG
    Der Pfad lief in vollkommen gerader Linie durch den Wald, so daß ich das hohe Eisentor am entgegengesetzten Ende deutlich erkennen konnte. Sophie und Boris hatten bereits eine erstaunliche Wegstrecke zurückgelegt, und obwohl ich so schnell ging, wie ich nur konnte, hatte sich auch noch nach ein paar Minuten die Entfernung zwischen uns kaum verringert. Außerdem wurde ich ständig von einer Gruppe junger Leute behindert, die genau vor mir hergingen und immer, wenn ich zu überholen versuchte, die Geschwindigkeit erhöhten oder sich über die ganze Breite des Pfades verteilten. Als ich sah, daß Sophie und Boris gerade dabei waren, die Straße zu erreichen, fing ich an zu laufen und drängte mich durch die jungen Leute hindurch, denn inzwischen war es mir egal, was für einen Eindruck ich hinterließ.
    Ich lief zügig weiter, war allerdings noch nicht einmal in Rufweite, als Sophie und Boris durch das Tor gingen. Bis ich selbst das Tor erreicht hatte, ging mein Atem nur noch keuchend, und ich mußte stehenbleiben.
    Ich war auf einer der Hauptstraßen in der Nähe der Stadtmitte herausgekommen. Die Morgensonne erleuchtete den Bürgersteig auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Geschäfte waren noch geschlossen, aber es war bereits eine stattliche Anzahl Menschen unterwegs, die sich auf dem Weg zur Arbeit befanden. Dann sah ich zu meiner Linken Leute an einer

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