Die Unsterblichen
umgebracht?« Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich das finde, trotz alldem, was sie meiner Familie angetan hat, und all den Malen, die sie mich angeblich getötet hat.
Er nickt.
»Aber wie denn? Ich meine, wenn sie unsterblich ist, hätte ich ihr dann nicht den Kopf abschlagen müssen?«
Er lacht. »Was liest du eigentlich für Bücher?« Dann wird seine Miene sehr ernst. »So funktioniert das nicht. Keine Enthauptungen, keine Holzpflöcke, keine Silberkugeln; es läuft alles auf die simple Tatsache hinaus, dass Rache schwach macht und Liebe Kraft gibt. Irgendwie hast du es geschafft, Drina genau an ihrer verwundbarsten Stelle zu treffen.«
Ich blinzele, so ganz verstehe ich das alles nicht. »Ich habe sie doch kaum gestreift«, wende ich ein und denke daran, wie meine Faust ihre Brust getroffen hat, aber nur ganz leicht.
»Dein Ziel war das vierte Chakra. Und du hast genau ins Schwarze getroffen.«
Bitte?
»Der Körper hat sieben Chakren. Das vierte Chakra, oder das Herzchakra, wie es manchmal genannt wird, ist das Zentrum der bedingungslosen Liebe, des Mitleids, des höheren Selbst - all der Dinge, die Drina gefehlt haben. Und das hat sie wehrlos gemacht, hat sie geschwächt. Ever, es war ihr Mangel an Liebe, der sie getötet hat.«
»Aber wenn diese Stelle so verwundbar war, warum hat sie sie dann nicht geschützt, besser darauf aufgepasst?«
»Sie war sich dessen nicht bewusst, war verblendet, hat sich von ihrem Ego leiten lassen. Drina hat nie begriffen, wie finster sie geworden ist, wie missgünstig, wie hasserfüllt, wie besitzergreifend -«
»Und wenn du das alles wusstest, warum hast du es mir dann nicht schon früher gesagt?«
Er zuckt die Achseln. »Das war nur eine Theorie von mir. Ich habe noch nie einen Unsterblichen getötet, also war ich mir nicht sicher, ob es funktionieren würde. Bis jetzt.«
»Du meinst, es gibt noch andere? Drina ist nicht die Einzige?«
Er öffnet den Mund, um etwas zu antworten, dann jedoch macht er ihn entschlossen wieder zu. Und als ich ihm in die Augen schaue, sehe ich dort... Reue aufblitzen, Bedauern? Aber gleich darauf ist es wieder verschwunden.
»Sie hat etwas über dich gesagt, und über deine Vergangenheit -«
»Ever«, fällt er mir ins Wort. »Ever, sieh mich an.« Er hebt mein Kinn an, bis ich es schließlich tue. »Ich lebe schon sehr lange -«
»Das kann man wohl sagen, sechshundert Jahre!«
Er zuckt zusammen. »Mehr oder weniger. Worauf ich hinauswill, ist, ich habe einiges gesehen, einiges getan, und mein Leben war nicht immer so gut oder so makellos. Eigentlich war das meiste davon so ziemlich das genaue Gegenteil.« Ich mache Anstalten zurückzuweichen, weiß nicht recht, ob ich bereit bin, mir das anzuhören, doch er zieht mich wieder an sich. »Glaub mir, du bist bereit, das zu hören, denn die Wahrheit ist, ich bin kein Mörder, ich bin auch nicht böse, ich bin nur ...« Er stockt. »Ich habe einfach nur gern gut gelebt. Und trotzdem war ich jedes Mal, wenn ich dir begegnet bin, gewillt, das alles wegzuwerfen, nur um in deiner Nähe zu sein.«
Ich reiße mich los, diesmal mit Erfolg. 0 Mann!, denke ich. 0 nein! Klassischer Fall von Junge verliert Mädchen, nur diesmal passiert das immer wieder, über Jahrhunderte hinweg, und endet jedes Mal, bevor sie was miteinander haben können. Kein Wunder, dass er interessiert ist, ich bin diejenige, die ihm ständig durch die Lappen geht! Ich bin wie eine lebendige verbotene Frucht! Heißt das, ich muss bis in alle Ewigkeit Jungfrau bleiben? Alle paar Jahre verschwinden, nur damit er bei der Stange bleibt? Ich meine, jetzt, da wir für alle Zeit aneinandergekettet sind, da ist es, sobald wir miteinander geschlafen haben, doch nur eine Frage der Zeit, bevor diese Geschichte langweilig wird und er wieder »gut leben« will.
»Aneinandergekettet? So siehst du das? Als wärst du an mich gekettet, für alle Zeit?« Und so wie er mich ansieht, kann ich nicht erkennen, ob er sauer ist oder ob er das komisch findet.
Meine Wangen brennen; ich habe vorübergehend vergessen, dass meine Gedanken absolut keine Privatangelegenheit sind, wenn es um ihn geht. »Nein, ich ... ich hatte Angst, du würdest mich so sehen. Ich meine, das ist doch das klassische Lovestory-Futter - die verlorene Liebe - immer und immer wieder! Kein Wunder, dass du die ganze Zeit ständig so hingerissen warst! Das hatte nichts mit mir zu tun! Du hast sechshundert Jahre lang versucht, mir an die Wäsche zu gehen!«
»An die
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