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Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin

Titel: Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Der Herrin, die gibt und nimmt
Prolog
    Die Tür fiel lautlos hinter ihnen ins Schloß und unterbrach damit Licht, Musik und das rauschende Fest im Ballsaal. Der plötzliche Verlust von Geräusch und Sicht erweckte in ihm das Gefühl von Klaustrophobie. Seine Hand schloß sich um das Instrumententäschchen, das er unter dem Mantel trug.
    In der Dunkelheit hörte er ihr amüsiertes Lachen an seiner Seite, dann flammte wieder Licht um ihn herum auf, das den kleinen Raum erhellte, in dem sie sich nun befanden. Sie waren nicht allein. Seine Anspannung setzte ihn ein wenig in Erstaunen, obwohl er sie erwartet hatte, und obwohl ihm das nun schon zum fünften Mal in dieser unvergleichlichen Nacht passiert war, und ganz bestimmt noch mehrere Male passieren würde. Dieses Mal geschah es in einem Wohnzimmer – auf der üppigen Couch, die aufdringlich in einem ganzen Wald dunkler, mit Gold bestäubter Möbel stand. Der irrelevante Gedanke kam ihm, daß er schon eine weiter auseinanderliegende Spanne von Stil- und Geschmacksrichtungen in dieser einen Nacht gesehen hatte, als ihm möglicherweise in den ganzen vierzig Jahren auf Karemough begegnet war.
    Aber er befand sich nicht auf Karemough, er war in Karbunkel, und diese Ballnacht war die seltsamste Nacht, die er jemals verbringen würde, und würde er auch zweihundert Jahre alt werden. In bewußtloser Vergessenheit lagen ein Mann und eine Frau auf der Couch, die beide von dem mit Drogen versetzten Wein, von dem die halbvolle Flasche seitlich auf dem Teppich lag, betäubt waren. Er betrachtete den purpurnen Fleck auf dem dichten Teppich und bemühte sich, nicht mehr als unbedingt nötig in ihre Privatsphäre einzudringen. »Seid Ihr sicher, daß dieses Pärchen auch intim geworden ist?«
    »Außerordentlich sicher.
Absolut
sicher.« Seine Gefährtin nahm die weiße Federnmaske von den Schultern, wodurch sie ebenso weißes Haar enthüllte, das über ihrem angespannten, jungen Mädchengesicht lockig und gekräuselt war wie ein Schlangennest. Die Maske bildete einen grotesken Kontrast zu ihrem liebreizenden Gesicht: der gekrümmte, hornige Schnabel eines Raubvogels, die riesigen Augen eines nächtlichen Jägers mit schwarzen Pupillen, die ihn mit dem in der Schwebe befindlichen Versprechen von Leben und Tod ansahen ...
Nein!
Wenn er ihr in die Augen sah, konnte er keinen Kontrast erkennen. Es gab keinen Unterschied. »Ihr Kharemoughier seid so selbstgerecht.« Sie ließ ihren Mantel aus weißen Federn fallen. »Und so scheinheilig.« Sie lachte wieder. Ihr Lachen war sowohl hell als auch dunkel.
    Er nahm seine eigene, reich verzierte Maske nur widerstrebend ab: ein absurdes Phantasiegeschöpf, halb Fisch halb reine Phantasie. Es gefiel ihm nicht, seinen Gesichtsausdruck enthüllen zu müssen.
    Sie studierte sein entblößtes Gesicht im gnadenlosen Lampenlicht mit gespielter Unschuld. »Erzählen Sie mir nicht, Doktor, es gefiele Ihnen nicht, zuzusehen.«
    Er schluckte seine Indigniertheit mühsam hinunter. »Ich bin Biochemiker, Eure Majestät, kein Voyeur.«
    »Unsinn.« Das Lächeln, das ihre Lippen umspielte, war viel zu alt für das Gesicht. »Alle Mediziner sind Voyeure. Weshalb sollten sie sonst Ärzte werden? Mit Ausnahme der Sadisten natürlich, die ganz einfach Spaß an Blut und Schmerzen haben.«
    Aus Angst vor einer möglichen Antwort ging er lediglich stumm an ihr vorbei zur Couch, wo er sein Instrumententäschchen abstellte. Hinter diesen Wänden strebte das Fest anläßlich des regelmäßigen Besuches des Premierministers in der Stadt Karbunkel mit ausgelassener Freude seinem Höhepunkt entgegen. Er hatte nicht im Traum daran gedacht, es mit der Königin dieser Welt zu verbringen – und ganz bestimmt nicht, das zu tun, was er gerade tat.
    Die schlafende Frau hatte ihm das Gesicht zugewandt. Wie er sehen konnte, war sie jung, von mittlerer Größe, kräftig und gesund. Ihr sanft lächelndes Gesicht war von der Sonne tief gebräunt und wettergegerbt unter dem sandfarbenen Haar. Ihr restlicher Körper war bleich, er vermutete, daß sie sorgsam vor der bitteren Kälte jenseits der Stadtmauern geschützt wurde. Der Mann an ihrer Seite war ein jugendlicher Dreißigjähriger, so schätzte er, mit dunklem Haar und heller Haut, er hätte sowohl ein Hiesiger, wie auch ein Außenweltler sein können, was aber keine Rolle spielte. Ihre Festmasken blickten mit hohläugiger Mißbilligung auf sie herab, wie machtlose Götter, die auf der Lehne der Couch ruhten. Er betupfte die

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