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Die Verlassenen

Die Verlassenen

Titel: Die Verlassenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Stevens
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kann ich da nichts tun. Wie schon gesagt, wird sich Dr. Farrante um alles kümmern. Er hat immer gut für Miss Violet gesorgt.“
    Dem konnte Ree nur beipflichten. Miss Violets Suite – Schlafzimmer, Bad und Sitzecke – befand sich im Südflügel der Klinik, einem ruhigen, sonnigen Teil mit einem beschaulichen Blick in den Garten. Ree konnte sich gut vorstellen, wie Miss Violet jahrein, jahraus dort gesessen und dem Wechsel der Jahreszeiten zugesehen hatte. Wie sie auf den Frühling gewartet hatte und darauf, dass die Veilchen vor ihrem Fenster zu blühen begannen.
    Trudy nahm eine dicke Aktenmappe von ihrem Schreibtisch und gab sie Ree. „Hier. Wenn du dich nützlich machen willst, bring das nach oben in Dr. Farrantes Büro. Er hat bestimmt schon Feierabend gemacht, also leg es einfach auf den Schreibtisch seiner Assistentin.“
    Ree drehte sich um und blickte den Korridor hinunter. „Und was ist mit Miss Violet?“
    „Was soll mit ihr sein?“
    „Ich finde es irgendwie traurig, sie so allein zu lassen.“
    Trudys Gesicht wurde weich, und mit einer mütterlichen Geste tätschelte sie Rees Arm. „Du hast alles für sie getan. Mehr als irgendjemand sonst in all den Jahren. Jetzt ist es Zeit, sie gehen zu lassen.“
    Damit hatte sie natürlich recht, und Ree wusste wirklich nicht, warum der Tod der alten Frau sie so tief traf. Sie arbeitete erst seit zwei Monaten hier, und in Anbetracht von Miss Violets Alter war ihr Tod nicht unerwartet gekommen. Wenn man ihre Lebensumstände bedachte, hätten manche vielleicht sogar gesagt, er sei ein Segen. Jetzt war sie frei.
    Doch Ree konnte die düsteren Gedanken und Gefühle einfach nicht abschütteln, als sie die Treppe zu Dr. Farrantes Büro im zweiten Stock hinaufstieg. Die Sohlen ihrer Turnschuhe machten ein Geräusch, das wie ein Flüstern klang, und sie drehte sich zwischendurch immer wieder um und schaute hinter sich ins Treppenhaus.
    Die Außentür zu Farrantes Reich stand offen, und sie spähte kurz hinein, bevor sie eintrat. Die großzügigen Büroräume sahen ungefähr genau so aus, wie sie es sich vorgestellt hatte – dezent und geschmackvoll, von den rehbraunen Ledermöbeln bis hin zu den dicken Orientteppichen auf dem Teakholzboden.
    Sie ging durch das Vorzimmer und legte die Mappe mitten auf den Schreibtisch, sodass die Assistentin sie sofort sehen würde, wenn sie am nächsten Morgen zur Arbeit kam.
    Erst als Ree sich zum Gehen wandte, fiel ihr auf, dass die Doppeltür, die in Dr. Farrantes Büro führte, ebenfalls offen stand, wenn auch nur einen Spaltbreit. Als sie seine Stimme hörte, blieb sie wie angewurzelt stehen und horchte, nicht weil sie ihn bespitzeln wollte, sondern weil sie es genoss, seinem volltönenden Bariton zu lauschen.
    Doch dann hörte sie eine zweite Stimme, und als sich im weiteren Verlauf der Unterhaltung herausstellte, dass Dr. Farrante außer sich war vor Wut, hatte sie zu große Angst, sich noch von der Stelle zu rühren, damit nicht das Quietschen einer losen Fußbodendiele sie verraten konnte.
    „... hättest nicht herkommen sollen!“
    „Oh, glaub mir, Nicholas, für das, was ich dir zu sagen habe, lohnt es sich, dass ich extra hergekommen bin. Außerdem dachte ich, ich schaue mal bei Violet vorbei, wo ich schon mal hier bin. Durch den Tod meines Vaters vor Kurzem ist mir bewusst geworden, dass sie nicht mehr lange unter uns sein wird. Ich hoffe, du bist fertig mit deiner neuesten Abhandlung.“
    Ein Schauer lief Ree über den Rücken. Was hatte dieser Mann mit Miss Violet zu tun?
    „Rührend, wie du dich um sie sorgst“, sagte Dr. Farrante in sarkastischem Ton.
    „Ein Kompliment, das ich gern zurückgebe. Aber die Farrantes haben sich ja immer so gut um meine Tante gekümmert.“
    Tante ? Sie hatte also doch noch einen lebenden Verwandten. Warum hatte dieser Mann sie nicht schon früher einmal besucht?
    „Sie hat hier ein langes und, wie ich glaube, zufriedenes Leben geführt“, sagte Dr. Farrante.
    „Hauptsache, du kannst nachts ruhig schlafen, wenn du dir das einredest.“
    „Und was redest du dir ein, damit du nachts ruhig schlafen kannst, Jared? Du oder dein Vater, ihr hättet sie jederzeit hier herausholen können. Ihr hättet sie zu euch nach Hause nehmen können.“
    „Das hättest du doch nie zugelassen.“
    „Du hast es ja gar nicht versucht. Machen wir uns doch nichts vor. Das Arrangement war allen Beteiligten ganz recht.“
    „Das Arrangement ist der Grund, warum ich hier bin“, sagte der Mann. „Ich

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