Die verlorene Bibliothek: Thriller
sich mit arrogantem Gesichtsausdruck zu Al um. Zum ersten Mal schaute er dem Älteren in die Augen.
»Tut mir leid. Ich habe genug für meinen Bericht beisammen. Es war nett, Sie kennenzulernen, Detective.«
»Für Ihren Bericht?« Der abschätzige Tonfall des jungen Kerls brachte das Fass fast zum Überlaufen. Ein Buch und ein paar verbrannte Papierfetzen waren zwar Beweismittel, aber bei weitem nicht genug für einen Bericht. Al schaute sich in dem Zimmer um. Die Spurensicherung war noch immer überall zugange, sammelte Finger- und Fußabdrücke und vermaß Spritzmuster. Daraus ließ sich irgendwann ein Bericht schreiben. Und doch schien der junge Mann das alles zu ignorieren. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem verbrannten Papier im Mülleimer. Es war, als würde der Rest des Tatorts für ihn gar nicht existieren.
Das war nicht das normale Verhalten eines Ermittlers, egal ob von hier oder vom FBI.
Einen sarkastischen Spruch auf den Lippen drehte Al sich wieder zu dem unbekannten Agenten um, doch der Mann war verschwunden.
KAPITEL FÜNF
9:35 U HR CST
»Die Frage, die mir Sorgen macht, ist: Wenn einer unserer Kollegen hier auf dem Campus angegriffen und umgebracht worden ist, wer ist dann als Nächstes dran?«
Nachdem Emilys Kollegen losgezogen waren, um ihre Seminare abzuhalten, war sie allein im Büro und hatte Zeit, über die Implikationen ihres Gesprächs nachzudenken. Emma Ericksens Worte gingen Emily nicht mehr aus dem Kopf. Es waren nicht nur die unbeantworteten Fragen in Zusammenhang mit Arno Holmstrands Ermordung, die Emily so eine Angst einjagten, es war der Tod an sich, der Tod hier, in ihrem College. Ein Kollege war nicht weit von ihrem eigenen Büro entfernt ermordet worden. Schwebten sie jetzt vielleicht alle in Gefahr?
Schwebe ich in Gefahr? Kaum war Emily dieser Gedanke gekommen, da schob sie ihn auch schon wieder beiseite. Die Situation persönlich zu nehmen war irrational und würde nur ihre Furcht schüren. Emily würde gegen diese Gedanken ankämpfen müssen. Sie musste etwas tun: arbeiten. Und bevor sie für das Wochenende zu Michael fuhr, hatte sie in der Tat noch ein paar Dinge zu erledigen.
Emily schaute auf den Stapel Briefe, den sie aus ihrem Postfach geholt hatte. Für den Augenblick schien das erst einmal die beste Ablenkung zu sein. Junk, Junk, Junk … Emily hatte den Ruf, nur selten ihre Post abzuholen. Was sie hier in der Hand hatte, war die Post von zwei Wochen, und der Großteil davon waren Werbebriefe: ein Flyer von einem Verlag, der ein Buch anpries, das sie vermutlich nie lesen würde; eine Postkarte, auf der eine Tierschutzorganisation für Spenden warb, und so weiter und so fort … Dann war da ein Memo der Universität, in dem es hieß, sie habe eine neue PIN für die Kopiermaschine des Instituts bekommen. Und die Sekretärin hatte das Memo formuliert, als hätte sie Emily die Startcodes für die Nuklearwaffen des Landes in die Hand gegeben. Das Leben eines Akademikers mochte zwar voller intellektueller Herausforderungen sein, aufregend war es jedenfalls nicht. Emily warf das Memo zusammen mit der Junkmail weg.
Darunter kam ein gelber Umschlag aus teurem Papier zum Vorschein. Vorne stand Emilys Name in eleganter Handschrift; Briefmarke und Absender fehlten. Irgendjemand musste ihn in ihr Fach gelegt haben. Vielleicht war das ja eine Einladung zu einer Party oder irgendeinem anderen Event; allerdings ließ die Qualität des Papiers darauf schließen, dass dieses Ereignis ein wenig hochklassiger war als das, was Emily sonst gewohnt war.
Sie öffnete den Umschlag, und ein einzelnes Blatt Papier fiel ihr in den Schoß. Es war in der Mitte gefaltet.
Emily klappte es auseinander. Zunächst einmal fiel ihr auf, wie extravagant der Brief war. Das Papier war teuer, cremefarben, und wenn sie sich nicht irrte, roch es leicht nach Zedernholz.
Und als sie den geprägten Briefkopf las, drehte sich ihr der Magen um. In eleganter, verschnörkelter Schrift stand dort zu lesen:
Professor Arno Holmstrand B. A., M. A., Dr. Phil., Ph. D., Obe
Arno Holmstrand, der Mann, der gestern Nacht ermordet worden war. Der große Professor.
Der tote Professor.
Was als Nächstes kam, traf Emily wie ein Schlag.
›Liebe Emily‹, stand dort in derselben eleganten Handschrift, die auch den Umschlag zierte, ›wenn Sie diesen Brief erhalten, bin ich sicherlich schon tot.‹
KAPITEL SECHS
Liebe Emily,
wenn Sie diesen Brief erhalten, bin ich sicherlich schon tot. Ich schreibe Ihnen
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