Die Verschollenen

Schlange und versuchte sich daran zu erinnern, ob diese bestimmte Art giftig war. Bevor sie hergekommen war, hatte sie so viel wie möglich über die Pazifischen Inseln gelesen und sich die Flora und Fauna eingeprägt. Doch trotz aller Vorbereitung wusste sie nicht mehr, ob diese Schlange giftig war. Vorsichtshalber machte Becka einen weiten Bogen um sie. Diese ignorierte sie und verfolgte weiter die Fische. Ein Mantarochen glitt vorbei, anscheinend ohne Becka oder die anderen Meeresbewohner wahrzunehmen. Sie starrte ihn an und wich vorsichtig seinem Stachelschwanz aus.
    Das Brennen in ihren luftleeren Lungen wurde stärker. Über sich sah Becka die zuckenden Beine
der anderen Castaways. Sie schwamm auf sie zu. Ihr Kopf durchbrach die Oberfläche. Keuchend spuckte sie Salzwasser und rang nach Luft. Ihre Kehle brannte. Die Sonne blendete sie. Wellen stießen sie herum. Als wieder eine große kam, wäre sie fast untergegangen, aber sie schaffte es gerade noch, sich an der Oberfläche zu halten. Während sie das Wasser aus den Augen blinzelte, sah sie sich um.
    Eine Fernsehkamera starrte sie an.
    Ignoriere sie, dachte Becka. Sie existiert gar nicht. Immer daran denken. Ich soll tun, als wäre sie nicht da.
    Becka schwamm neben einem kleinen Boot auf der Stelle. An Bord befanden sich vier Männer - ein Kameramann, ein Tontechniker, ein Regisseur und ein Steuermann -, allesamt Angestellte des Senders. Als Becka hustete, warfen sie ihr nur kurze, ausdruckslose Blicke zu. Sie sagten nichts, nickten ihr nicht einmal zu. Becka ließ sich von dem Boot wegtreiben, während sie überlegte, ob sie die Regeln brechen und um Hilfe bitten sollte. Die Teilnehmer durften nicht mit der Crew reden oder interagieren, außer es handelte sich um einen Notfall - oder, wenn die Crew den Kontakt von sich aus herstellte.
    »Meinst du, die nehmen uns ein Stück mit?«
    Neben ihr trieb Jerry, dem Wassertropfen über den rasierten Schädel und die ebenfalls rasierte Brust rannen. Wie Becka war er Anfang zwanzig, bewundernswert fit und außerdem ziemlich süß, und sie hatte schon ein paarmal bemerkt, wie er sie in den
zwei Wochen seit ihrer Ankunft auf der Insel eindeutig abgecheckt hatte. Sie wusste nicht viel über ihn - nur, dass er in einer Videothek in Santa Monica arbeitete. Unter anderen Umständen hätte Becka vielleicht in Erwägung gezogen, ihn besser kennenzulernen, aber hier draußen waren nicht die richtige Zeit und der richtige Ort dafür. Hier kämpften jeder Mann und jede Frau allein. Sich der falschen Person zu öffnen oder zu sehr anzuvertrauen führte zur Katastrophe. Nach zwölf Staffeln Castaways wusste das sogar ein Neuling.
    »Uns mitnehmen?« Sie rang immer noch um Atem. »Du kennst doch die Regeln. Kontakt zur Crew herbeizuführen bedeutet sofortige Disqualifikation von …«
    Jerry hob abwehrend die Hände. »Ich weiß, ich weiß. Mann, Becka, das war doch nur ein Witz.«
    Wieder rollte eine Welle über sie hinweg. Becka versuchte krampfhaft, nicht noch mehr Wasser zu schlucken. Diese Welle war kleiner als die letzte, und so schaffte sie es, oben zu bleiben. Sie wurden beide hoch auf den Wellenkamm getragen und trieben dann wieder abwärts, als die Welle vorbei war.
    Dreimal pro Woche mussten Becka und die anderen Castaways in einer Serie von Wettbewerben und Challenges gegeneinander antreten. Manchmal ging es um Ausdauer und Stärke. Manchmal konzentrierten sich die Aufgaben auf Intelligenz und Schläue, oder es ging um Kleinigkeiten in dem Gebiet,
wo das aktuelle Spiel ausgetragen wurde. Dem Gewinner der Challenge wurde vorübergehend Zutritt zum Kreis der Sicherheit gewährt, womit er bis zur nächsten Challenge geschützt war. Die anderen Castaways wählten dann jemanden raus - was bedeutete, dass der- oder diejenige aus dem Spiel flog. Jeder Teilnehmer konnte rausgewählt werden, bis auf den, der den Kreis der Sicherheit gewonnen hatte.
    Für die heutige Challenge waren sie mit einem Boot aufs Meer hinaus gebracht worden, wo man ihnen dann verkündet hatte, dass ein Wettschwimmen zur Insel anstand. Jetzt, wo Becka wieder aufgetaucht war, schwammen die anderen Castaways weiter und ließen nur sie, Jerry und die Kameracrew in dem Boot zurück.
    Becka runzelte die Stirn. »Solltest du nicht versuchen, das Rennen zu beenden?«
    »Spielt keine Rolle mehr«, sagte Jerry achselzuckend. »Stefan hat schon gewonnen.«
    »Scheiße.«
    »Jepp. Aufgeblasener britischer Idiot. Jeff und Richard waren ihm die ganze Zeit dicht auf