Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
Vom Netzwerk:
und würde ich mich wohl zu reden bemühen, wenn ein Fensterchen vor meiner Stirn, vor meiner Brust angebracht wäre, so daß der, dem ich meine Gedanken einzeln zuzählen, meine Empfindungen einzeln zureichen will, immer schon lange vorher wissen könnte, wo es mit mir hinaus wollte?
    Wenn mir jemand ins Buch sieht, so ist mir immer, als wenn ich in zwei Stücke gerissen würde«.
    Charlotte, deren Gewandtheit sich in größeren und kleineren Zirkeln besonders dadurch bewies, daß sie jede unangenehme, jede heftige, ja selbst nur lebhafte Äußerung zu beseitigen, ein sich verlängerndes Gespräch zu unterbrechen, ein stockendes anzuregen wußte, war auch diesmal von ihrer guten Gabe nicht verlassen:» du wirst mir meinen Fehler gewiß verzeihen, wenn ich bekenne, was mir diesen Augenblick begegnet ist.
    Ich hörte von Verwandtschaften lesen, und da dacht ich eben gleich an meine Verwandten, an ein paar Vettern, die mir gerade in diesem Augenblick zu schaffen machen.
    Meine Aufmerksamkeit kehrt zu deiner Vorlesung zurück; ich höre, daß von ganz leblosen Dingen die Rede ist, und blicke dir ins Buch, um mich wieder zurechtzufinden«.
    »Es ist eine Gleichnisrede, die dich verführt und verwirrt hat«, sagte Eduard.
    »Hier wird freilich nur von Erden und Mineralien gehandelt, aber der Mensch ist ein wahrer Narziß; er bespiegelt sich überall gern selbst, er legt sich als Folie der ganzen Welt unter«.
    »Jawohl!« fuhr der Hauptmann fort; »so behandelt er alles, was er außer sich findet; seine Weisheit wie seine Torheit, seinen Willen wie seine Willkür leiht er den Tieren, den Pflanzen, den Elementen und den Göttern«.
    »Möchtet ihr mich«, versetzte Charlotte, »da ich euch nicht zu weit von dem augenblicklichen Interesse wegführen will, nur kürzlich belehren, wie es eigentlich hier mit den Verwandtschaften gemeint sei?« »Das will ich wohl gerne tun«, erwiderte der Hauptmann, gegen den sich Charlotte gewendet hatte, »freilich nur so gut, als ich es vermag, wie ich es etwa vor zehn Jahren gelernt, wie ich es gelesen habe.
    Ob man in der wissenschaftlichen Welt noch so darüber denkt, ob es zu den neuern Lehren paßt, wüßte ich nicht zu sagen«.
    »Es ist schlimm genug«, rief Eduard, »daß man jetzt nichts mehr für sein ganzes Leben lernen kann.
    Unsre Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen; wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen«.
    »Wir Frauen«, sagte Charlotte, »nehmen es nicht so genau; und wenn ich aufrichtig sein soll, so ist es mir eigentlich nur um den Wortverstand zu tun; denn es macht in der Gesellschaft nichts lächerlicher, als wenn man ein fremdes, ein Kunstwort falsch anwendet.
    Deshalb möchte ich nur wissen, in welchem Sinne dieser Ausdruck eben bei diesen Gegenständen gebraucht wird.
    Wie es wissenschaftlich damit zusammenhänge, wollen wir den Gelehrten überlassen, die übrigens, wie ich habe bemerken können, sich wohl schwerlich jemals vereinigen werden«.
    »Wo fangen wir aber nun an, um am schnellsten in die Sache zu kommen?« fragte Eduard nach einer Pause den Hauptmann, der, sich ein wenig bedenkend, bald darauf erwiderte: »wenn es mir erlaubt ist, dem Scheine nach weit auszuholen, so sind wir bald am Platze«.
    »Sein Sie meiner ganzen Aufmerksamkeit versichert«, sagte Charlotte, indem sie ihre Arbeit beseitelegte.
    Und so begann der Hauptmann: »an allen Naturwesen, die wir gewahr werden, bemerken wir zuerst, daß sie einen Bezug auf sich selbst haben.
    Es klingt freilich wunderlich, wenn man etwas ausspricht, was sich ohnehin versteht; doch nur indem man sich über das Bekannte völlig verständig hat, kann man miteinander zum Unbekannten fortschreiten «.
    »Ich dächte«, fiel ihm Eduard ein, »wir machten ihr und uns die Sache durch Beispiele bequem.
    Stelle dir nur das Wasser, das Öl, das Quicksilber vor, so wirst du eine Einigkeit, einen Zusammenhang ihrer Teile finden.
    Diese Einung verlassen sie nicht, außer durch Gewalt oder sonstige Bestimmung.
    Ist diese beseitigt, so treten sie gleich wieder zusammen«. »Ohne Frage«, sagte Charlotte beistimmend.
    »Regentropfen vereinigen sich gern zu Strömen.
    Und schon als Kinder spielen wir erstaunt mit dem Quecksilber, indem wir es in Kügelchen trennen und es wieder zusammenlaufen lassen«. »Und so darf ich wohl«, fügte der Hauptmann hinzu, »eines bedeutenden Punktes im flüchtigen Vorbeigehen erwähnen, daß

Weitere Kostenlose Bücher