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Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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bürgerlichen Gesellschaft vermehren.
    Charlotte, ohnehin gewohnt, die Gegenwart zu nutzen, fühlte sich, indem sie ihren Mann zufrieden sah, auch persönlich gefördert.
    Verschiedene häusliche Anstalten, die sie längst gewünscht, aber nicht recht einleiten können, wurden durch die Tätigkeit des Hauptmanns bewirkt.
    Die Hausapotheke, die bisher nur aus wenigen Mitteln bestanden, ward bereichert und Charlotte so wohl durch faßliche Bücher als durch Unterredung in den Stand gesetzt, ihr tätiges und hülfreiches Wesen öfter und wirksamer als bisher in Übung zu bringen.
    Da man auch die gewöhnlichen und dessen ungeachtet nur zu oft überraschenden Notfälle durchdachte, so wurde alles, was zur Rettung der Ertrunkenen nötig sein möchte, um so mehr angeschafft, als bei der Nähe so mancher Teiche, Gewässer und Wasserwerke öfters ein und der andere Unfall dieser Art vorkam.
    Diese Rubrik besorgte der Hauptmann sehr ausführlich, und Eduarden entschlüpfte die Bemerkung, daß ein solcher Fall in dem Leben seines Freundes auf die seltsamste Weise Epoche gemacht.
    Doch als dieser schwieg und einer traurigen Erinnerung auszuweichen schien, hielt Eduard gleichfalls an, so wie auch Charlotte, die nicht weniger im allgemeinen davon unterrichtet war, über jene Äußerungen hinausging.
    »Wie wollen alle diese vorsorglichen Anstalten loben«, sagte eines Abends der Hauptmann; »nun geht uns aber das Notwendigste noch ab, ein tüchtiger Mann, der das alles zu handhaben weiß.
    Ich kann hiezu einen mir bekannten Feldchirurgus vorschlagen, der jetzt um leidliche Bedingung zu haben ist, ein vorzüglicher Mann in seinem Fache, und der mir auch in Behandlung heftiger innerer Übel öfters mehr Genüge getan hat als ein berühmter Arzt; und augenblickliche Hülfe ist doch immer das, was auf dem Lande am meisten vermißt wird«.
    Auch dieser wurde sogleich verschrieben, und beide Gatten freuten sich, daß sie so manche Summe, die ihnen zu willkürlichen Ausgaben übrigblieb, auf die nötigsten zu verwenden Anlaß gefunden.
    So benutzte Charlotte die Kenntnisse, die Tätigkeit des Hauptmanns auch nach ihrem Sinne und fing an, mit seiner Gegenwart völlig zufrieden und über alle Folgen beruhigt zu werden.
    Sie bereitete sich gewöhnlich vor, manches zu fragen, und da sie gern leben mochte, so suchte sie alles Schädliche, alles Tödliche zu entfernen.
    Die Bleiglasur der Töpferwaren, der Grünspan kupferner Gefäße hatte ihr schon manche Sorge gemacht.
    Sie ließ sich hierüber belehren, und natürlicherweise mußte man auf die Grundbegriffe der Physik und Chemie zurückgehen.
    Zufälligen, aber immer willkommenen Anlaß zu solchen Unterhaltungen gab Eduards Neigung, der Gesellschaft vorzulesen.
    Er hatte eine sehr wohlklingende, tiefe Stimme und war früher wegen lebhafter, gefühlter Rezitation dichterischer und rednerischer Arbeiten angenehm und berühmt gewesen.
    Nun waren es andre Gegenstände, die ihn beschäftigten, andre Schriften, woraus er vorlas, und eben seit einiger Zeit vorzüglich Werke physischen, chemischen und technischen Inhalts.
    Eine seiner besondern Eigenheiten, die er jedoch vielleicht mit mehrern Menschen teilt, war die, daß es ihm unerträglich fiel, wenn jemand ihm beim Lesen in das Buch sah.
    In früherer Zeit, beim Vorlesen von Gedichten, Schauspielen, Erzählungen, war es die natürliche Folge der lebhaften Absicht, die der Vorlesende so gut als der Dichter, der Schauspieler, der Erzählende hat, zu überraschen, Pausen zu machen, Erwartungen zu erregen; da es denn freilich dieser beabsichtigten Wirkung sehr zuwider ist, wenn ihm ein Dritter wissentlich mit den Augen vorspringt.
    Er pflegte sich auch deswegen in solchem Falle immer so zu setzen, daß er niemand im Rücken hatte.
    Jetzt zu dreien war diese Vorsicht unnötig; und da es diesmal nicht auf Erregung des Gefühls, auf Überraschung der Einbildungskraft angesehen war, so dachte er selbst nicht daran, sich sonderlich in acht zu nehmen.
    Nur eines Abends fiel es ihm auf, als er sich nachlässig gesetzt hatte, daß Charlotte ihm in das Buch sah.
    Seine alte Ungeduld erwachte, und er verwies es ihr, gewissermaßen unfreundlich: »wollte man sich doch solche Unarten, wie so manches andre, was der Gesellschaft lästig ist, ein für allemal abgewöhnen!
    Wenn ich jemand vorlese, ist es denn nicht, als wenn ich ihm mündlich etwas vortrüge?
    Das Geschriebene, das Gedruckte tritt an die Stelle meines eigenen Sinnes, meines eigenen Herzens;

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