Die Wahlverwandtschaften
hat«.
»O wehe mir«, rief Mittler, »was muß ich nicht mit meinen Freunden für Geduld haben!
Nun begegnet mir noch gar der Aberglaube, der mir als das Schädlichste, was bei den Menschen einkehren kann, verhaßt bleibt.
Wir spielen mit Voraussagungen und Träumen und machen dadurch das alltägliche Leben bedeutend.
Aber wenn das Leben nun selbst bedeutend wird, wenn alles um uns sich bewegt und braust, dann wird das Gewitter durch jene Gespenster nur noch fürchterlicher«.
»Lassen Sie in dieser Ungewißheit des Lebens«, rief Eduard, »zwischen diesem Hoffen und Bangen dem bedürftigen Herzen doch nur eine Art von Leitstern, nach welchem es hinblicke, wenn es auch nicht darnach steuern kann«.
»Ich ließe mirs wohl gefallen«, versetzte Mittler, »wenn dabei nur einige Konsequenz zu hoffen wäre, aber ich habe immer gefunden: auf die warnenden Symptome achtet kein Mensch, auf die schmeichelnden und versprechenden allein ist die Aufmerksamkeit gerichtet und der Glaube für sie ganz allein lebendig«.
Da sich nun Mittler sogar in die dunklen Regionen geführt sah, in denen er sich immer unbehaglicher fühlte, je länger er darin verweilte, so nahm er den dringenden Wunsch Eduards, der ihn zu Charlotten gehen hieß, etwas williger auf.
Denn was wollte er überhaupt Eduarden in diesem Augenblicke noch entgegensetzen?
Zeit zu gewinnen, zu erforschen, wie es um die Frauen stehe, das war es, was ihm selbst nach seinen eignen Gesinnungen zu tun übrigblieb.
Er eilte zu Charlotten, die er wie sonst gefaßt und heiter fand.
Sie unterrichtete ihn gern von allem, was vorgefallen war; denn aus Eduards Reden konnte er nur die Wirkung abnehmen.
Er trat von seiner Seite behutsam heran, konnte es aber nicht über sich gewinnen, das Wort Scheidung auch nur im Vorbeigehn auszusprechen.
Wie verwundert, erstaunt und, nach seiner Gesinnung, erheitert war er daher, als Charlotte ihm in Gefolg so manches Unerfreulichen endlich sagte: »ich muß glauben, ich muß hoffen, daß alles sich wieder geben, daß Eduard sich wieder nähern werde.
Wie kann es auch wohl anders sein, da Sie mich guter Hoffnung finden«.
»Versteh ich Sie recht?« fiel Mittler ein.
»Vollkommen«, versetzte Charlotte.
»Tausendmal gesegnet sei mir diese Nachricht!« rief er, die Hände zusammenschlagend.
»Ich kenne die Stärke dieses Arguments auf ein männliches Gemüt.
Wie viele Heiraten sah ich dadurch beschleunigt, befestigt, wiederhergestellt!
Mehr als tausend Worte wirkt eine solche gute Hoffnung, die fürwahr die beste Hoffnung ist, die wir haben können.
Doch«, fuhr er fort, »was mich betrifft, so hätte ich alle Ursache, verdrießlich zu sein.
In diesem Falle, sehe ich wohl, wird meiner Eigenliebe nicht geschmeichelt.
Bei euch kann meine Tätigkeit keinen Dank verdienen.
Ich komme mir vor wie jener Arzt, mein Freund, dem alle Kuren gelangen, die er um Gottes willen an Armen tat, der aber selten einen Reichen heilen konnte, der es gut bezahlen wollte.
Glücklicherweise hilft sich hier die Sache von selbst, da meine Bemühungen, mein Zureden fruchtlos geblieben wären«.
Charlotte verlangte nun von ihm, er solle die Nachricht Eduarden bringen, einen Brief von ihr mitnehmen und sehen, was zu tun, was herzustellen sei.
Er wollte das nicht eingehen.
»Alles ist schon getan«, rief er aus.
»Schreiben Sie!
Ein jeder Bote ist so gut als ich.
Muß ich doch meine Schritte hinwenden, wo ich nötiger bin.
Ich komme nur wieder, um Glück zu wünschen; ich komme zur Taufe«.
Charlotte war diesmal, wie schon öfters, über Mittlern unzufrieden.
Sein rasches Wesen brachte manches Gute hervor, aber seine Übereilung war schuld an manchem Mißlingen.
Niemand war abhängiger von augenblicklich vorgefaßten Meinungen als er.
Charlottens Bote kam zu Eduarden, der ihn mit halbem Schrecken empfing.
Der Brief konnte ebensogut für Nein als für Ja entscheiden.
Er wagte lange nicht, ihn aufzubrechen, und wie stand er betroffen, als er das Blatt gelesen, versteinert bei folgender Stelle, womit es sich endigte: »gedenke jener nächtlichen Stunden, in denen du deine Gattin abenteuerlich als Liebender besuchtest, sie unwiderstehlich an dich zogst, sie als eine Geliebte, als eine Braut in die Arme schlossest.
Laß uns in dieser seltsamen Zufälligkeit eine Fügung des Himmels verehren, die für ein neues Band unserer Verhältnisse gesorgt hat in dem Augenblick, da das Glück unseres Lebens auseinanderzufallen und zu verschwinden
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