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Die Wahlverwandtschaften

Die Wahlverwandtschaften

Titel: Die Wahlverwandtschaften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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gnädige Frau, eingeleitet haben, zu billigen.
    Wenn die Glieder einer Gemeinde reihenweise nebeneinander liegen, so ruhen sie bei und unter den Ihrigen; und wenn die Erde uns einmal aufnehmen soll, so finde ich nichts natürlicher und reinlicher, als daß man die zufällig entstandenen, nach und nach zusammensinkenden Hügel ungesäumt vergleiche und so die Decke, indem alle sie tragen, einem jeden leichter gemacht werde«.
    »Und ohne irgendein Zeichen des Andenkens, ohne irgend etwas, das der Erinnerung entgegenkäme, sollte das alles so vorübergehen?« versetzte Ottilie.
    »Keineswegs!« fuhr der Architekt fort; »nicht vom Andenken, nur vom Platze soll man sich lossagen.
    Der Baukünstler, der Bildhauer sind höchlich interessiert, daß der Mensch von ihnen, von ihrer Kunst, von ihrer Hand eine Dauer seines Daseins erwarte; und deswegen wünschte ich gut gedachte, gut ausgeführte Monumente, nicht einzeln und zufällig ausgesäet, sondern an einem Orte aufgestellt, wo sie sich Dauer versprechen können.
    Da selbst die Frommen und Hohen auf das Vorrecht Verzicht tun, in den Kirchen persönlich zu ruhen, so stelle man wenigstens dort oder in schönen Hallen um die Begräbnisplätze Denkzeichen, Denkschriften auf.
    Es gibt tausenderlei Formen, die man ihnen vorschreiben, tausenderlei Zieraten, womit man sie ausschmücken kann«.
    »Wenn die Künstler so reich sind«, versetzte Charlotte, »so sagen Sie mir doch: wie kann man sich niemals aus der Form eines kleinlichen Obelisken, einer abgestutzten Säule und eines Aschenkrugs herausfinden?
    Anstatt der tausend Erfindungen, deren Sie sich rühmen, habe ich immer nur tausend Wiederholungen gesehen«.
    »Das ist wohl bei uns so«, entgegnete ihr der Architekt, »aber nicht überall.
    Und überhaupt mag es mit der Erfindung und der schicklichen Anwendung eine eigne Sache sein.
    Besonders hat es in diesem Falle manche Schwierigkeit, einen ernsten Gegenstand zu erheitern und bei einem unerfreulichen nicht ins Unerfreuliche zu geraten.
    Was Entwürfe zu Monumenten aller Art betrifft, deren habe ich viele gesammelt und zeige sie gelegentlich; doch bleibt immer das schönste Denkmal des Menschen eigenes Bildnis.
    Dieses gibt mehr als irgend etwas anders einen Begriff von dem, was er war; es ist der beste Text zu vielen oder wenigen Noten; nur müßte es aber auch in seiner besten Zeit gemacht sein, welches gewöhnlich versäumt wird.
    Niemand denkt daran, lebende Formen zu erhalten, und wenn es geschieht, so geschieht es auf unzulängliche Weise.
    Da wird ein Toter geschwind noch abgegossen und eine solche Maske auf einen Block gesetzt, und das heißt man eine Büste.
    Wie selten ist der Künstler imstande, sie völlig wiederzubeleben!« »Sie haben, ohne es vielleicht zu wissen und zu wollen«, versetzte Charlotte, »dies Gespräch ganz zu meinen Gunsten gelenkt.
    Das Bild eines Menschen ist doch wohl unabhängig; überall, wo es steht, steht es für sich, und wir werden von ihm nicht verlangen, daß es die eigentliche Grabstätte bezeichne.
    Aber soll ich Ihnen eine wunderliche Empfindung bekennen?
    Selbst gegen die Bildnisse habe ich eine Art von Abneigung; denn sie scheinen mir immer einen stillen Vorwurf zu machen; sie deuten auf etwas Entferntes, Abgeschiedenes und erinnern mich, wie schwer es sei, die Gegenwart recht zu ehren.
    Gedenkt man, wieviel Menschen man gesehen, gekannt, und gesteht sich, wie wenig wir ihnen, wie wenig sie uns gewesen, wie wird uns da zumute!
    Wir begegnen dem Geistreichen, ohne uns mit ihm zu unterhalten, dem Gelehrten, ohne von ihm zu lernen, dem Gereisten, ohne uns zu unterrichten, dem Liebevollen, ohne ihm etwas Angenehmes zu erzeigen.
    Und leider ereignet sich dies nicht bloß mit den Vorübergehenden.
    Gesellschaften und Familien betragen sich so gegen ihre liebsten Glieder, Städte gegen ihre würdigsten Bürger, Völker gegen ihre trefflichsten Fürsten, Nationen gegen ihre vorzüglichsten Menschen.

Ich hörte fragen, warum man von den Toten so unbewunden Gutes sage, von den Lebenden immer mit einer gewissen Vorsicht.
    Es wurde geantwortet: weil wir von jenen nichts zu befürchten haben und diese uns noch irgendwo in den Weg kommen könnten.
    So unrein ist die Sorge für das Andenken der andern; es ist meist nur ein selbstischer Scherz, wenn es dagegen ein heiliger Ernst wäre, seine Verhältnisse gegen die Überbliebenen immer lebendig und tätig zu erhalten«.
    Aufgeregt durch den Vorfall und die daran sich knüpfenden Gespräche,

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