Die Wanderapothekerin 1-6
wissen wir erst, wenn wir die verschwundenen Mädchen gefunden haben. Auf jeden Fall sollen die jungen Frauen in dieser Gegend vorsichtig sein und nicht in den Wald hineingehen.«
Tobias warf Klara einen warnenden Blick zu und musterte sie dann verblüfft. Wie hatte aus dem dürren Ding, das er vor zwei Jahren – oder waren es schon drei gewesen? – in Martin Schneidts Begleitung auf dem Jahrmarkt in Königsee gesehen hatte, so ein hübsches Mädchen werden können?
»Wir durchsuchen den gesamten Wald«, erklärte der Jäger, der sich von Tobias nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen wollte. »Dabei werden wir sogar in die Teufelsschlucht vordringen, die sonst jeder meidet. Selbst der Köhler Görch wagt sich dort nicht mehr hinein. Er sagt, seit das mit dem Juden passiert ist, hat er im Wald stets eine Axt bei sich und legt diese des Nachts neben sein Bett. Aber da ihr nichts gesehen habt, müssen wir jetzt weiter. Kommt!«
Bei der Aufforderung zog der Jäger sein Pferd herum und lenkte es erneut in den Wald hinein. Sein zweiter Begleiter folgte ihm dichtauf, während Tobias’ Blick noch immer auf Klara ruhte.
»He, Just, wo bleibst du?«, rief der Jäger drängend.
Da löste Tobias seinen Blick von dem Mädchen und trieb seinen Gaul an, um kurz darauf ebenfalls zwischen den Bäumen unterzutauchen.
Klara schauderte es, als sie an das verschwundene Mädchen dachte. Auch ging ihr Tobias’ Bemerkung, es könnte auch ein Mensch dahinterstecken, nicht aus dem Sinn. Bei dem Gedanken an einen möglichen Unhold fiel ihr unwillkürlich der Köhler Görch ein. Sie schämte sich jedoch sofort für diese Überlegung. Nur weil Görch ein eigenbrötlerischer Mann war, der die Nähe der anderen Menschen mied, war ihm kein solches Verbrechen zuzutrauen.
»Glaubst du, die fremden Mädchen könnten Menschen zum Opfer gefallen sein, Räubern zum Beispiel?«, fragte sie die Mutter.
Diese schüttelte vehement den Kopf. »Kein Mensch hier würde so etwas tun. Das war ein Untier, das der Teufel verhext hat – oder dieser gar selbst!«
Irgendwie konnte Klara sich nicht vorstellen, dass der Höllenfürst höchstpersönlich auf Mädchenfang ging. Schließlich hatte der Pastor gesagt, dass es kein Hexenwerk gäbe und der Teufel sich immer nur der Seelen der Menschen bemächtige, um Böses zu bewirken. Sie sagte jedoch nichts mehr, sondern sammelte weiter Kräuter. Ihre Gedanken ließen sich jedoch nicht so leicht beherrschen wie ihr Mund, und Bilder in ihrem Kopf gaukelten ihr vor, dass jeden Augenblick ein wilder Bär aus dem Wald brechen konnte, um die Mutter, sie und ihre Geschwister zu fressen.
5.
A uf dem Weg nach Königsee traf Alois Schneidt ebenfalls auf einen fürstlichen Jagdgehilfen, der von zwei berittenen Bürgern begleitet wurde. Als sie ihn sahen, hielten sie ihre Pferde an, und der Jäger musterte ihn von oben herab.
»Es ist gut, dass wir Ihn treffen, Schneidt. Hat Er irgendetwas bemerkt?«
Alois Schneidt verfluchte in Gedanken den Kerl, der ihn so überheblich ansprach, als wäre er der Fürst persönlich. Das muss anders werden, sagte er sich. Der Ausblick auf eine Zukunft, in der er kein einfacher Wanderapotheker mehr sein würde, sondern ein reicher Bürger, enthob ihn jedoch nicht seiner Pflicht, dem fürstlichen Jäger Rede und Antwort zu stehen.
»Ich weiß nicht, was Ihr meint. Ich bin gestern erst von meiner Wanderstrecke zurückgekehrt und habe bislang nichts erfahren, was außergewöhnlich wäre.«
»Es ist wieder ein Mädel verschwunden, Schneidt«, erklärte einer der beiden Bürger. »Erneut handelt es sich um eine Fremde, die mit ihrem Vater durch die Teufelsschlucht gegangen ist, um den Weg abzukürzen. Offensichtlich hat sie niemand vor den Gefahren dort gewarnt. Den Mann hat man schrecklich zugerichtet gefunden, von dem Mädel fehlt jede Spur. Wir haben schon Botschaft nach Rudolstadt gesandt, dass man uns ein paar der fürstlichen Schweißhunde schickt. Doch bis die kommen, ist es für das Mädel wahrscheinlich zu spät.«
»Es wird wieder so ausgehen wie das letzte Mal. Die Hunde haben den Schwanz eingekniffen und sich nicht mehr weitergetraut«, setzte der andere Bürger hinzu, während der Jäger das Gesicht verzog.
»Diesmal kriegen wir die Bestie. Das gebe ich euch schriftlich!«
»Ich würde es nicht unterschreiben«, erwiderte einer seiner Begleiter kopfschüttelnd. »Das Ganze geht nicht mit rechten Dingen zu. Da steckt der Teufel dahinter, sage ich euch! Darum hat es
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