Die Wanderapothekerin 1-6
Frühjahr empfangene Ware bezahlt hätte, und schlug das Rechnungsbuch zu.
»Dann guten Tag noch!«, sagte er und blickte zur Tür.
»Guten Tag«, murmelte Alois Schneidt und verließ mit unterdrücktem Zorn den Raum.
Solange er zusammen mit seinem Bruder zu Just gekommen war, hatte dieser ihnen stets einen Trunk Beerenwein angeboten und oft auch noch eine geräucherte Leberwurst und ein Stück Brot. Daher kränkte es ihn, entlassen worden zu sein wie ein fauler Knecht.
Draußen ballte er die Faust. »Bald bin ich so reich wie du, Just, und kann mich Laborant nennen. Dann wirst du anders mit mir reden müssen!«
Beim Klang der eigenen Stimme sah er sich erschrocken um und atmete auf, als er feststellte, dass ihn niemand gehört hatte.
Er musste vorsichtig sein, damit die Beamten des Fürsten nichts mitbekamen. Hegten diese den Verdacht, er wolle einen Schatz vor seinem Landesherrn verbergen, würde man ihm nicht nur all das schöne Gold wegnehmen, sondern ihn auch noch in den Kerker werfen. Daher musste er seine Schwägerin zu absolutem Stillschweigen verpflichten. Gleichzeitig aber fragte er sich, wie Klara sich verhalten würde, wenn sie begriff, dass er selbst reich geworden war, während ihre Mutter, ihre Geschwister und sie gerade mal dem Bettelstab entkommen waren.
»Ich darf das Mädel nicht außer Acht lassen«, sagte er leise. »Es ist klüger als die Mutter und lehnt mich ebenso ab, wie ihr älterer Bruder es getan hat. Dem kleinen Biest traue ich zu, mich für ein paar Groschen an die Gefolgsleute des Fürsten zu verraten.«
Da ist es wohl besser, wenn ich mit meiner Familie das Land verlasse und mich woanders ansiedle, setzte er sein Selbstgespräch stumm fort. Von seinen Reisen als Wanderapotheker kannte er einiges von der Welt und traute es sich zu, den rechten Platz für sich und seine Familie zu finden. Oder wäre es für ihn eine Lösung, wenn seine Schwägerin zugrunde ging und mit ihren Kindern als Bettlerin des Landes verwiesen wurde? Dann könnte er unangefochten weiter hier leben. Eine Antwort auf diese Frage musste er in den nächsten Wochen finden. Zunächst aber lenkte er seine Schritte zum nächsten Wirtshaus, um seinen Ärger über Just mit einem oder zwei Krügen Bier hinunterzuspülen.
6.
Ü ber dem Sammeln von Kräutern und Pilzen verging die Zeit recht zäh, und als der Mittag kam, nahmen sie nur schnell ein paar Bissen Brot und einen Schluck Wasser aus der Quelle zu sich, um sofort weiterarbeiten zu können. Klara war es so gewohnt, doch Albert quengelte. Es passte ihm gar nicht, dass er von den schönen Steinpilzen, die er gefunden hatte, keinen einzigen essen durfte. Die Mutter blieb jedoch hart, und als er zu sehr bockte und schließlich seinen Korb auf den Boden warf, versetzte sie ihm eine Ohrfeige.
»Willst du wohl ruhig sein? Der Vater und Gerold sind fort, und wir wissen nicht, wie wir die nächsten Wochen überstehen sollen! Du aber führst dich auf wie ein Blöder.«
Obwohl Klara sich ebenfalls über den Bruder geärgert hatte, fand sie die Schelte übertrieben. Andererseits verstand sie die Mutter. In deren Herz musste es noch dunkler aussehen als in ihrem. Dabei sah sie selbst die Zukunft schwarz in schwarz. Auf die Hilfe des Onkels vertraute sie nicht. Dieser hatte zu oft gezeigt, dass es ihm nur um sich selbst ging und vielleicht noch um Frau und Tochter. Andere Menschen galten ihm wenig, und zu denen hatte selbst der eigene Bruder gehört.
»Albert, komm jetzt! Sonst muss ich deinen Korb mittragen«, rief sie, um ihren Bruder zu beruhigen.
Dieser stampfte mit dem Fuß auf den Boden und wich etliche Schritte zurück. »Nachdem Papa und Gerold weg sind, bin ich der Mann im Haus, und ich sage, dass ich heute Abend meine Steinpilze essen will!«
»Der Mann im Haus!« Klara lachte. »Da musst du noch zwei Fuß wachsen und einige Jahre älter werden, bevor du solche Ansprüche stellen kannst. Und nun nimm deinen Korb, sonst gibt es für dich heute überhaupt kein Abendessen.«
»Du hast Klara gehört!«, fuhr die Mutter ihn an. »Also gehorche, wenn du nicht willst, dass ich dir dein Fell mit dem Stock gerbe.«
Die Drohung brachte den Jungen dazu, sich noch weiter zurückzuziehen. Der Verlust des Vaters und des Bruders schmerzte ihn, und er hätte sich Trost gewünscht, nicht aber zornige Worte.
»Ihr seid alle böse!«, schnaubte er, drehte sich um und rannte davon.
»Albert, bleib, sonst …«, schrie Johanna Schneidt hinter ihm her.
»Lass ihn,
Weitere Kostenlose Bücher