Die Wanderapothekerin 1-6
Füße Seiner fürstlichen Hoheit werfen, damit er sich meiner und meiner armen Waisen annimmt!«
»Bei Gott, das ist ein weiter Weg und beileibe nicht ungefährlich! Es gibt da Stellen im Wald, die ein ehrlicher Christenmensch meiden sollte«, wandte Alois Schneidt erschrocken ein.
Wenn seine Schwägerin wirklich in die einen guten Tagesmarsch entfernte Residenzstadt ging und den Fürsten bei guter Laune antraf, konnte dieser ihr durchaus eine Handvoll Taler geben lassen. Damit aber wäre seine Aussicht dahin, in absehbarer Zeit an den Schatzanteil seines Bruders zu gelangen.
»Der Weg ist sehr gefährlich, glaube mir. Erinnere dich nur, dass im vorletzten Jahr keine Meile von hier ein wandernder Jude getötet wurde und dessen Tochter spurlos verschwunden ist. Es mag ein Bär gewesen sein – oder ein noch schlimmeres Ungeheuer. Vielleicht war es sogar der Satan selbst!« Alois Schneidts Stimme klang düster, und es gelang ihm, seine Schwägerin einzuschüchtern.
Klara war jedoch nicht bereit, die Flinte so einfach ins Korn zu werfen. Auch wenn Teile des Gebirgswalds als verflucht galten und sich neuerdings sogar die fürstlichen Jäger nur im hellsten Sonnenschein in die Teufelsschlucht wagten, die den kürzesten Weg nach Rudolstadt darstellte, so konnte man sie in größerem Bogen umgehen und traf sogar auf freundliche Menschen, die einem Obdach gewähren konnten. Sie hielt jedoch den Mund und hörte zu, wie die Mutter den Onkel händeringend anflehte, alles zu versuchen, um den Laboranten Just zur Stundung der Schulden zu bewegen.
»Wenn du schon in Königsee bist, dann gehe bitte zum Amtmann und melde ihm, dass nach meinem Mann auch mein Sohn verschollen ist und wir untertänigst bitten, die Steuern erst im nächsten Jahr zahlen zu dürfen«, setzte sie hinzu.
»Und du glaubst, der Mann ginge darauf ein?«, fragte Alois Schneidt mit einem kurzen Auflachen. »Die Herren Beamten des Fürsten sind dafür bekannt, rasch zu fordern, aber nichts zu geben. Doch lass dich davon nicht bedrücken. Wir beide kennen einen besseren Weg aus dieser Misere. Damit Gott befohlen!« Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Haus.
Klara eilte ans Fenster und sah ihm nach, bis er hinter einer Kurve verschwunden war, dann wandte sie sich ihrer Mutter zu. »Was ist das für ein Weg, von dem Onkel gesprochen hat?«
»Das ist nichts für ein Kind wie dich«, wehrte die Mutter ab.
Im letzten Jahr hatte Klara diesen Satz oft gehört und sich jedes Mal darüber geärgert. Nun war sie nicht mehr bereit, klein beizugeben. »Ich bin kein Kind mehr, Mutter! Schließlich bin ich schon siebzehn. Eine meiner Freundinnen ist zwei Monate jünger als ich und bereits verheiratet, eine andere wird es in wenigen Wochen sein. Wer kann dir helfen, wenn nicht ich? Albert ist wirklich noch zu klein dafür.«
Die Mutter wand sich ein wenig, musterte Klara dann und dachte erstaunt, wie rasch die Zeit vergangen war. Vor ihr stand wahrlich kein Kind mehr, sondern ein junges Mädchen an der Schwelle zur Frau. Ihre Tochter überragte sie sogar schon um eine halbe Handbreit. Zwar war sie noch ein wenig schlaksig, doch ihre Formen ließen bereits erahnen, dass sie einmal die meisten Mädchen im weiten Umkreis an Schönheit übertreffen würde. Ihr liebliches, herzförmiges Gesicht wurde von brünetten Locken umrahmt, schmale Brauen beschatteten die bernsteinfarbenen Augen.
Zum ersten Mal stellte Johanna Schneidt fest, dass ihre Tochter ihre blonde Base Reglind bald in den Schatten stellen würde, und empfand trotz ihres Leids einen gewissen Stolz auf das Mädchen. »Ich werde es dir sagen«, antwortete sie, um es nicht zu einem Misston kommen zu lassen. »Aber erst heute Abend, wenn die Kinder schlafen. Jetzt müssen wir unsere Körbe nehmen und in den Wald gehen, denn der Herbst ist die beste Zeit, um Kräuter zu sammeln.«
»Und Pilze!«, setzte Klara hinzu und nahm sich fest vor, am Abend nicht lockerzulassen, bis sie das Geheimnis erfuhr, das die Eltern so lange vor ihr verborgen hatten.
4.
J ohanna Schneidt schob die Kinder aus dem Haus und verschloss die Tür. Dabei musterte sie die drei zufrieden. Fleißig waren sie ja. Der Korb, den Klara trug, war nicht kleiner als der ihre, während die von Albert und der kleinen Liebgard ihrem Alter angemessen waren. Alle vier Körbe, davon war sie überzeugt, würden am Abend voll sein.
Unterwegs kamen sie am Anwesen des Schwagers und Onkels vorbei. Dort machte sich gerade ein junger Mann
Weitere Kostenlose Bücher