Die weiße Bestie: Thriller (German Edition)
dem Nachmittag auf der Terrasse des Norfolk Hotel vor einigen Jahren. John Hansen hatte in einem der bequemen Korbstühle gesessen und ein spätes Frühstück eingenommen, als Martin eingetroffen war. Er hatte die Stimme seines Stellvertreters wiedererkannt, und ein Blick über die Schulter hatte bestätigt, dass er es war. In Gesellschaft eines kräftigen Kenianers mit etwas merkwürdigen, weißen Händen. Die beiden Männer hatten ihn nicht gesehen. Einen Augenblick lang hatte er überlegt, ob er hingehen und sie begrüßen sollte, aber er wollte nicht, dass sie sahen, dass er allein im Restaurant saß.
Die Unterhaltungen der übrigen Gäste hatten den Großteil des Gespräches übertönt, aber ein bisschen hatte er aufgefangen. Ausreichend, um nicht überrascht zu sein, als Dana Oil den Vertrag mit der kenianischen Regierung unterzeichnete.
Im Nachhinein hatte er überlegt, ob er darüber mit Martin sprechen sollte. Erzählen, dass er ihnen zugehört hatte. Aber er hatte es verworfen. Das Wichtigste war, den Vertrag zu sichern, also tat er, als wäre er an diesem Samstagvormittag nie auf der Terrasse gewesen. Glückselig sind die Unwissenden.
Gestern hatten sie im Büro eine kleine Gedenkzeremonie für Martin abgehalten. Schande! So jung! Die Kollegen hatten die Köpfe geschüttelt. Denk nur, welch ein Unglück, hinzufallen, sich den Kopf aufzuschlagen und daran zu sterben!
Nach der Zeremonie war die Arbeit wieder aufgenommen worden. In einem Land, in dem der Tod ein Teil des Alltags war und ein einzelnes Menschenleben nicht den gleichen Wert wie in Dänemark hatte, weinte man nicht tagelang wegen der Toten. Das gefiel John Hansen. Besonders in dieser Situation. Das machte die Lüge etwas leichter.
Er schaute wieder auf die farbenfrohe Karte und lächelte vor sich hin. Es würde nicht lange dauern, bevor die Kollegen Schlange stehen würden, um ihn mit in die Stadt zu nehmen.
47
Sally wusste, dass sie nicht hier sein sollte.
Die ersten paar Male, bei denen sie dabei gewesen war, hatte sie Ausschau gehalten, um zu sehen, ob ihre Mutter nach ihr suchte. Das tat sie jetzt nicht mehr.
Jata reichte Sally eine glimmende Zigarette, und sie nahm sie entgegen. Sie saugte an der Zigarette und hielt die Luft an, bevor sie den Rauch ausstieß. Das tat sie viermal, und dann konnte sie spüren, wie der Rauch ihre Kopfhaut zum Kribbeln brachte und ihr schwindelig wurde. Sie reichte die Zigarette weiter an Janice und rückte etwas zur Seite, um sich besser an den großen, kaputten Traktorreifen anlehnen zu können.
Sie saßen am Rande des Dorfes, am weitesten entfernt von der Straße, auf dem Platz, auf den alle Teile der Maschinen, die kaputt gingen, geworfen wurden. Hier konnten sie sich hinter den vielen kaputten Reifen verstecken. Der Reifenstapel war hoch, und durch die Löcher konnte man Ausschau halten, sodass man wusste, ob jemand kam.
Sowohl Jata als auch Janice waren dreizehn Jahre alt– drei Jahre älter als Sally. Jata war groß und dünn und hatte sehr schwarze Zähne. Janice war auch dünn, aber nicht groß. Sie schielte so stark, dass es schwierig war, ihr in die Augen zu schauen.
Das waren keine Mädchen, mit denen Sally früher gesprochen hätte. Ihre Mutter wollte nicht, dass sie mit ihnen spielte. Schlechte Gesellschaft nannte die Mutter die beiden. Sally war das egal. Sie waren die beste Gesellschaft, die sie seit Langem gehabt hatte.
» Warum bist du eigentlich nicht in der Schule? « , fragte Janice und schaute Sally an, während sie die Zigarette an Jata weiterreichte. Sally zuckte mit den Schultern.
» Warum seid ihr nicht dort? «
Die beiden Mädchen zuckten mit den Schultern.
Sally mochte nicht mehr in die Schule gehen.
Nicht nach der dummen Prüfung.
Das war vorbei, als die Lehrerin die Noten ausgeteilt hatte. Sie war im Klassenzimmer herumgegangen und hatte jedem einzelnen Schüler den Fragebogen der Prüfung zurückgegeben. Die Noten hatten unten in der Ecke gestanden, und als die Lehrerin Sally ihren Bogen gegeben hatte, wusste sie, dass in ihrer Ecke schlechte Neuigkeiten standen. Sie konnte es der Lehrerin ansehen, weil sie traurig darauf schaute, als sie das Blatt zurückgab. Zuerst hatte Sally die Hand über die Ecke gehalten. Sie hatte ein Gebet gesprochen und Gott gefragt, ob er den Buchstaben, der dort stand, in ein A verwandeln würde. Auch wenn sie die Hoffnung fast aufgegeben hatte, auf die Sommerschule zu kommen, gab es doch immer noch eine Chance, solange sie den
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