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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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Gestalten (Individuen) zusammenlaufend und gerinnend, fortwährend die große und die kleine Weltgeschichte aufführen, wobei es an sich gleichviel ist, ob, was sie in Bewegung setzt, Nüsse oder Kronen sind. Er wird endlich finden, daß es in der Welt ist, wie in den Dramen des Gozzi, in welchen allen immer die selben Personen auftreten, mit gleicher Absicht und gleichem Schicksal: die Motive und Begebenheiten freilich sind in jedem Stücke andere; aber der Geist der Begebenheiten ist der selbe: die Personen des einen Stücks wissen auch nichts von den Vorgängen im andern, in welchem doch sie selbst agirten: daher ist, nach allen Erfahrungen der früheren Stücke, doch Pantalone nicht behender oder freigebiger, Tartaglia nicht gewissenhafter, Brighella nicht beherzter und Kolombine nicht sittsamer geworden. –
    Gesetzt es würde uns ein Mal ein deutlicher Blick in das Reich der Möglichkeit und über alle Ketten der Ursachen und Wirkungen gestattet, es träte der Erdgeist hervor und zeigte uns in einem Bilde die vortrefflichsten Individuen, Welterleuchter und Helden, die der Zufall vor der Zeit ihrer Wirksamkeit zerstört hat, – dann die großen Begebenheiten, welche die Weltgeschichte geändert und Perioden der höchsten Kultur und Aufklärung herbeigeführt haben würden, die aber das blindeste Ungefähr, der unbedeutendeste Zufall, bei ihrer Entstehung hemmte, endlich die herrlichen Kräfte großer Individuen, welche ganze Weltalter befruchtet haben würden, die sie aber, durch Irrthum oder Leidenschaft verleitet, oder durch Nothwendigkeit gezwungen, an unwürdigen und unfruchtbaren Gegenständen nutzlos verschwendeten, oder gar spielend vergeudeten; – sähen wir das Alles, wir würden schaudern und wehklagen über die verlorenen Schätze ganzer Weltalter. Aber der Erdgeist würde lächeln und sagen: »Die Quelle, aus der die Individuen und ihre Kräfte fließen, ist unerschöpflich und unendlich wie Zeit und Raum: denn jene sind, eben wie diese Formen aller Erscheinung, doch auch nur Erscheinung, Sichtbarkeit des Willens. Jene unendliche Quelle kann kein endliches Maaß erschöpfen: daher steht jeder im Keime erstickten Begebenheit, oder Werk, zur Wiederkehr noch immer die unverminderte Unendlichkeit offen. In dieser Welt der Erscheinung ist so wenig wahrer Verlust, als wahrer Gewinn möglich. Der Wille allein ist: er, das Ding an sich, er, die Quelle aller jener Erscheinungen. Seine Selbsterkenntniß und darauf sich entscheidende Bejahung oder Verneinung ist die einzige Begebenheit an sich.« – 54

    § 36

    Dem Faden der Begebenheiten geht die Geschichte nach: sie ist pragmatisch, sofern sie dieselben nach dem Gesetze der Motivation ableitet, welches Gesetz den erscheinenden Willen da bestimmt, wo er von der Erkenntniß beleuchtet ist. Auf den niedrigeren Stufen seiner Objektität, wo er noch ohne Erkenntniß wirkt, betrachtet die Gesetze der Veränderungen seiner Erscheinungen die Naturwissenschaft als Aetiologie, und das Bleibende an ihnen als Morphologie, welche ihr fast unendliches Thema sich durch Hülfe der Begriffe erleichtert, das Allgemeine zusammenfassend, um das Besondere daraus abzuleiten. Endlich die bloßen Formen, in welchen, für die Erkenntniß des Subjekts als Individuums, die Ideen zur Vielheit auseinandergezogen erscheinen, also Zeit und Raum, betrachtet die Mathematik. Diese alle, deren gemeinsamer Name Wissenschaft ist, gehn also dem Satz vom Grunde in seinen verschiedenen Gestaltungen nach, und ihr Thema bleibt die Erscheinung, deren Gesetze, Zusammenhang und daraus entstehende Verhältnisse. – Welche Erkenntnißart nun aber betrachtet jenes außer und unabhängig von aller Relation bestehende, allein eigentlich Wesentliche der Welt, den wahren Gehalt ihrer Erscheinungen, das keinem Wechsel Unterworfene und daher für alle Zeit mit gleicher Wahrheit Erkannte, mit Einem Wort, die Ideen , welche die unmittelbare und adäquate Objektität des Dinges an sich, des Willens, sind? – Es ist die Kunst , das Werk des Genius. Sie wiederholt die durch reine Kontemplation aufgefaßten ewigen Ideen, das Wesentliche und Bleibende aller Erscheinungen der Welt, und je nachdem der Stoff ist, in welchem sie wiederholt, ist sie bildende Kunst, Poesie oder Musik. Ihr einziger Ursprung ist die Erkenntniß der Ideen; ihr einziges Ziel Mittheilung dieser Erkenntniß. – Während die Wissenschaft dem rast- und bestandlosen Strohm vierfach gestalteter Gründe und Folgen nachgehend, bei jedem

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