Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Winzigkeit oder Häßlichkeit seiner Person zu verstehen sucht. So verlegen wie dieser, wenn er nackt gehn sollte, wäre mancher Autor, wenn man ihn zwänge, sein so pomphaftes, dunkles Buch in dessen kleinen, klaren Inhalt zu übersetzen.
§ 48
Die Historienmalerei hat nun neben der Schönheit und Grazie noch den Charakter zum Hauptgegenstand, worunter überhaupt zu verstehn ist die Darstellung des Willens auf der höchsten Stufe seiner Objektivation, wo das Individuum, als Hervorhebung einer besondern Seite der Idee der Menschheit, eigenthümliche Bedeutsamkeit hat und diese nicht durch die bloße Gestalt allein, sondern durch Handlung jeder Art und die sie veranlassenden und begleitenden Modifikationen des Erkennens und Wollens, sichtbar in Miene und Geberde, zu erkennen giebt. Indem die Idee der Menschheit in diesem Umfange dargestellt werden soll, muß die Entfaltung ihrer Vielseitigkeit in bedeutungsvollen Individuen vor die Augen gebracht werden, und diese wieder können in ihrer Bedeutsamkeit nur durch mannigfaltige Scenen, Vorgänge und Handlungen sichtbar gemacht werden. Diese ihre unendliche Aufgabe löst nun die Historienmalerei dadurch, daß sie Lebensscenen jeder Art, von großer und geringer Bedeutsamkeit, vor die Augen bringt. Weder irgend ein Individuum, noch irgend eine Handlung kann ohne Bedeutung seyn: in allen und durch alle entfaltet sich mehr und mehr die Idee der Menschheit. Darum ist durchaus kein Vorgang des Menschenlebens von der Malerei auszuschließen. Man thut folglich den vortrefflichen Malern der Niederländischen Schule großes Unrecht, wenn man bloß ihre technische Fertigkeit schätzt, im Uebrigen aber verachtend auf sie herabsieht, weil sie meistens Gegenstände aus dem gemeinen Leben darstellten, man hingegen nur die Vorfälle aus der Weltgeschichte, oder Biblischen Historie für bedeutsam hält. Man sollte zuvörderst bedenken, daß die innere Bedeutsamkeit einer Handlung von der äußern ganz verschieden ist und beide oft getrennt von einander einhergehn. Die äußere Bedeutsamkeit ist die Wichtigkeit einer Handlung in Beziehung auf die Folgen derselben für und in der wirklichen Welt; also nach dem Satz vom Grunde. Die innere Bedeutsamkeit ist die Tiefe der Einsicht in die Idee der Menschheit, welche sie eröffnet, indem sie die seltener hervortretenden Seiten jener Idee an das Licht zieht, dadurch, daß sie deutlich und entschieden sich aussprechende Individualitäten, mittelst zweckmäßig gestellter Umstände, ihre Eigenthümlichkeiten entfalten läßt. Nur die innere Bedeutsamkeit gilt in der Kunst: die äußere gilt in der Geschichte. Beide sind völlig unabhängig von einander, können zusammen eintreten, aber auch jede allein erscheinen. Eine für die Geschichte höchst bedeutende Handlung kann an innerer Bedeutsamkeit eine sehr alltägliche und gemeine seyn: und umgekehrt kann eine Scene aus dem alltäglichen Leben von großer innerer Bedeutsamkeit seyn, wenn in ihr menschliche Individuen und menschliches Thun und Wollen, bis auf die verborgensten Falten, in einem hellen und deutlichen Lichte erscheinen. Auch kann, bei sehr verschiedener äußerer Bedeutsamkeit, die innere die gleiche und selbe seyn, so z.B. es für diese gleich gelten, ob Minister über der Landkarte um Länder und Völker streiten, oder Bauern in der Schenke über Spielkarten und Würfeln sich gegenseitig ihr Recht darthun wollen; wie es gleichviel ist, ob man mit goldenen, oder mit hölzernen Figuren Schach spielt. Außerdem sind die Scenen und Vorgänge, welche das Leben so vieler Millionen von Menschen ausmachen, ihr Thun und Treiben, ihre Noth und ihre Freude, schon deshalb wichtig genug, um Gegenstand der Kunst zu seyn, und müssen, durch ihre reiche Mannigfaltigkeit, Stoff genug geben zur Entfaltung der vielseitigen Idee der Menschheit. Sogar erregt die Flüchtigkeit des Augenblicks, welchen die Kunst in einem solchen Bilde (heut zu Tage genre -Bild genannt) fixirt hat, eine leise, eigenthümliche Rührung: denn die flüchtige Welt, welche sich unaufhörlich umgestaltet, in einzelnen Vorgängen, die doch das Ganze vertreten, festzuhalten im dauernden Bilde, ist eine Leistung der Malerkunst, durch welche sie die Zeit selbst zum Stillstande zu bringen scheint, indem sie das Einzelne zur Idee seiner Gattung erhebt. Endlich haben die geschichtlichen und nach außen bedeutenden Vorwürfe der Malerei oft den Nachtheil, daß gerade das Bedeutsame derselben nicht anschaulich darstellbar ist, sondern
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