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Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)

Titel: Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schopenhauer
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deren Aequivalent sie ist. Die Ursache unseres Schmerzes, wie unserer Freude, liegt daher meistens nicht in der realen Gegenwart; sondern bloß in abstrakten Gedanken: diese sind es, welche uns oft unerträglich fallen, Quaalen schaffen, gegen welche alle Leiden der Thierheit sehr klein sind, da über dieselben auch unser eigener physischer Schmerz oft gar nicht empfunden wird, ja, wir bei heftigen geistigen Leiden uns physische verursachen, bloß um dadurch die Aufmerksamkeit von jenen abzulenken auf diese: daher rauft man, im größten geistigen Schmerze, sich die Haare aus, schlägt die Brust, zerfleischt das Antlitz, wälzt sich auf dem Boden; welches Alles eigentlich nur gewaltsame Zerstreuungsmittel von einem unerträglich fallenden Gedanken sind. Eben weil der geistige Schmerz, als der viel größere, gegen den physischen unempfindlich macht, wird dem Verzweifelnden, oder von krankhaftem Unmuth Verzehrten, der Selbstmord sehr leicht, auch wenn er früher, im behaglichen Zustande, vor dem Gedanken daran zurückbebte. Imgleichen reiben die Sorge und Leidenschaft, also das Gedankenspiel, den Leib öfter und mehr auf, als die physischen Beschwerden. Dem also gemäß sagt Epiktetos mit Recht: Tarassei tous anthrôtous ou ta pragmata, alla ta peri tôn pragmatôn dogmata ( Perturbant homines non res ipsae, sed de rebus decreta ) (V.) und Seneka: Plura sunt, quae nos terrent, quam quae premunt, et saepius opinione quam re laboramus (Ep.5). Auch Eulenspiegel persiflirte die menschliche Natur ganz vortrefflich, indem er bergauf gehend lachte, aber bergab gehend weinte. Ja, Kinder die sich wehe gethan, weinen oft nicht über den Schmerz, sondern erst, wenn man sie beklagt, über den dadurch erregten Gedanken des Schmerzes. So große Unterschiede im Handeln und im Leiden fließen aus der Verschiedenheit der thierischen und menschlichen Erkenntnißweise. Ferner ist das Hervortreten des deutlichen und entschiedenen Individualcharakters, der hauptsächlich den Menschen vom Thier, welches fast nur Gattungscharakter hat, unterscheidet, ebenfalls durch die, nur mittelst der abstrakten Begriffe mögliche, Wahl zwischen mehreren Motiven bedingt. Denn allein nach vorhergegangener Wahl sind die in verschiedenen Individuen verschieden ausfallenden Entschlüsse ein Zeichen des individuellen Charakters derselben, der bei Jedem ein anderer ist; während das Thun des Thieres nur von der Gegenwart, oder Abwesenheit des Eindrucks abhängt, vorausgesetzt, daß derselbe überhaupt ein Motiv für seine Gattung ist. Daher endlich ist beim Menschen allein der Entschluß, nicht aber der bloße Wunsch, ein gültiges Zeichen seines Charakters, für ihn selbst und für Andere. Der Entschluß aber wird allein durch die That gewiß, für ihn selbst, wie für Andere. Der Wunsch ist bloß nothwendige Folge des gegenwärtigen Eindrucks, sei es des äußern Reizes, oder der Innern vorübergehenden Stimmung, und ist daher so unmittelbar nothwendig und ohne Ueberlegung, wie das Thun der Thiere: daher auch drückt er, eben wie dieses, bloß den Gattungscharakter aus, nicht den individuellen, d.h. deutet bloß an, was der Mensch überhaupt , nicht was das den Wunsch fühlende Individuum zu thun fähig wäre. Die That allein ist, weil sie, schon als menschliche Handlung, immer einer gewissen Ueberlegung bedarf, und weil der Mensch in der Regel seiner Vernunft mächtig, also besonnen ist, d.h. sich nach gedachten, abstrakten Motiven entscheidet, der Ausdruck der intelligibeln Maxime seines Handelns, das Resultat seines Innersten Wollens, und stellt sich hin als ein Buchstabe zu dem Worte, das seinen empirischen Charakter bezeichnet, welcher selbst nur der zeitliche Ausdruck seines intelligibeln Charakters ist. Daher beschweren, bei gesundem Gemüthe, nur Thaten das Gewissen, nicht Wünsche und Gedanken. Denn nur unsere Thaten halten uns den Spiegel unsers Willens vor. Die schon oben erwähnte, völlig unüberlegt und wirklich im blinden Affekt begangene That ist gewissermaaßen ein Mittelding zwischen bloßem Wunsch und Entschluß: daher kann sie durch wahre Reue, die sich aber auch als That zeigt, wie ein verzeichneter Strich, ausgelöscht werden aus dem Bilde unsers Willens, welches unser Lebenslauf ist. – Uebrigens mag hier, als ein sonderbares Gleichniß, die Bemerkung Platz finden, daß das Verhältniß zwischen Wunsch und That eine ganz zufällige, aber genaue Analogie hat mit dem zwischen elektrischer Vertheilung und elektrischer

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