Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
durch jene gemeinsame Uebereinkunft entsteht er, und je nachdem diese Uebereinkunft mehr oder weniger unvermischt ist mit Anarchie oder Despotie, ist auch der Staat vollkommener oder unvollkommener. Die Republiken tendiren zur Anarchie, die Monarchien zur Despotie, der deshalb ersonnene Mittelweg der konstitutionellen Monarchie tendirt zur Herrschaft der Faktionen. Um einen vollkommenen Staat zu gründen, muß man damit anfangen, Wesen zu schaffen, deren Natur es zuläßt, daß sie durchgängig das eigene Wohl dem öffentlichen zum Opfer bringen. Bis dahin aber läßt sich schon etwas dadurch erreichen, daß es eine Familie giebt, deren Wohl von dem des Landes ganz unzertrennlich ist; so daß sie, wenigstens in Hauptsachen, nie das Eine ohne das Andere befördern kann. Hierauf beruht die Kraft und der Vorzug der erblichen Monarchie.
Gieng nun die Moral ausschließlich auf das Recht-oder Unrecht- Thun , und konnte sie Dem, welcher etwan entschlossen wäre, kein Unrecht zu thun, die Gränze seines Handelns genau bezeichnen; so geht umgekehrt die Staatslehre, die Lehre von der Gesetzgebung, ganz allein auf das Unrecht- Leiden , und würde sich nie um das Unrecht- Thun bekümmern, wäre es nicht wegen seines allemal nothwendigen Korrelats, des Unrechtleidens, welches, als der Feind dem sie entgegenarbeitet, ihr Augenmerk ist. Ja, ließe sich ein Unrechtthun denken, mit welchem kein Unrechtleiden von einer andern Seite verknüpft wäre; so würde, konsequent, der Staat es keineswegs verbieten. – Ferner, weil in der Moral der Wille, die Gesinnung, der Gegenstand der Betrachtung und das allein Reale ist, gilt ihr der feste Wille zum zu verübenden Unrecht, den allein die äußere Macht zurückhält und unwirksam macht, dem wirklich verübten Unrecht ganz gleich, und sie verdammt den solches Wollenden als ungerecht vor ihrem Richterstuhl. Hingegen den Staat kümmern Wille und Gesinnung, bloß als solche, ganz und gar nicht; sondern allein die That (sie sei nun bloß versucht oder ausgeführt) wegen ihres Korrelats, des Leidens von der andern Seite: ihm ist also die That, die Begebenheit, das allein Reale: die Gesinnung, die Absicht wird bloß erforscht, sofern aus ihr die Bedeutung der That kenntlich wird. Daher wird der Staat Niemanden verbieten, Mord und Gift gegen einen Andern beständig in Gedanken zu tragen, sobald er nur gewiß weiß, daß die Furcht vor Schwerdt und Rad die Wirkungen jenes Wollens beständig hemmen werden. Der Staat hat auch keineswegs den thörichten Plan, die Neigung zum Unrechtthun, die böse Gesinnung zu vertilgen; sondern bloß jedem möglichen Motiv zur Ausübung eines Unrechts immer ein überwiegendes Motiv zur Unterlassung desselben, in der unausbleiblichen Strafe, an die Seite zu stellen: demgemäß ist der Kriminalkodex ein möglichst vollständiges Register von Gegenmotiven zu sämmtlichen, als möglich präsumirten, verbrecherischen Handlungen, – Beides in abstracto , um vorkommenden Falles die Anwendung in concreto zu machen. Die Staatslehre, oder die Gesetzgebung, wird nun, zu diesem ihrem Zweck, von der Moral jenes Kapitel, welches die Rechtslehre ist und welches neben der Innern Bedeutung des Rechts und des Unrechts, die genaue Gränze zwischen Beiden bestimmt, borgen, aber einzig und allein, um dessen Kehrseite zu benutzen und alle die Gränzen, welche die Moral als unüberschreitbar, wenn man nicht Unrecht thun will, angiebt, von der andern Seite zu betrachten, als die Gränzen, deren Ueberschrittenwerden vom Andern man nicht dulden darf, wenn man nicht Unrecht leiden will, und von denen man also Andere zurückzutreiben ein Recht hat: daher diese Gränzen nun, von der möglicherweise passiven Seite aus, durch Gesetze verbollwerkt werden. Es ergiebt sich, daß wie man, recht witzig, den Geschichtschreiber einen umgewandten Propheten genannt hat, der Rechtslehrer der umgewandte Moralist ist, und daher auch die Rechtslehre im eigentlichen Sinn, d.h. die Lehre von den Rechten , welche man behaupten darf, die umgewandte Moral, in dem Kapitel, wo diese die Rechte lehrt, welche man nicht verletzen darf. Der Begriff des Unrechts und seiner Negation des Rechts, der ursprünglich moralisch ist, wird juridisch , durch die Verlegung des Ausgangspunktes von der aktiven auf die passive Seite, also durch Umwendung. Dieses, nebst der Rechtslehre Kants, der aus seinem kategorischen Imperativ die Errichtung des Staats als eine moralische Pflicht sehr fälschlich ableitet, hat dann auch in der
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