Memed mein Falke
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Die Hänge des Taurusgebirges steigen von der weiß schäumenden Mittelmeerküste ganz allmählich bis zu den Höhen der Taurusgipfel an. Über dem Mittelmeer kann man immer weiße Wolken sehen, die, aufeinandergetürmt dahintreiben. Das Küstenland ist so glatt und ebenmäßig, daß man glauben könnte, es sei mit einer Glanzschicht überzogen. Sein Lehmboden läßt einen an Fleisch denken. Auf Stunden ins Landesinnere hinein riecht es hier nach Meer, nach der Schärfe des Salzes. Hinter den flachen Äckern mit ihrem von Furchen durchzogenen Lehm beginnt das Röhricht der Çukurova, bedeckt mit unentwirrbar ineinander verfilztem Gestrüpp, mit Brombeeren, Wildreben und Schilf - eine dunkelgrüne Hölle, ohne Anfang und Ende, dunkler und wilder noch als Urwald.
Ein Stück weiter landeinwärts, zur Rechten Anavarza, zur Linken Osmaniye, auf dem Weg nach Islahije, kommt man in eine weite Sumpflandschaft. Hier brodelt es im Sommer ringsumher, wenn die Sümpfe kochen und der widerwärtige Geruch von verfaultem Schilf, Kraut und Holz, der Fäulnisgestank des Bodens jedermann fernhält. Das klare Wasser, das im Sommer von den Sumpfpflanzen und vom Schilf verborgen wird, glänzt und glitzert im Winter wie ein Spiegel. Jenseits der Sumpfgebiete gelangt man wieder auf bebautes Land, auf fetten, warmen Boden. Ein Land, das vor Fruchtbarkeit glänzt, das für seine Saat vierzig- bis fünfzigfachen Ertrag zurückgibt. Aber wenn man die sanften, myrtenduftenden Hügel hinter sich zurückgelassen hat, schrickt man jäh vor den Felsen zusammen, die sich plötzlich vor einem auftürmen. Mit den Felsen beginnt das Reich der Kiefern, deren Harz in kristallenen Tropfen an den Stämmen entlang zur Erde sickert. Die Ebenen, die sich hinter den Kiefern erstrecken, haben kargen Boden, der nichts trägt ... Von hier aus sind die Taurushöhen mit ihren Schneegipfeln zum Greifen nahe.
Eine der Hochebenen ist mit Disteln übersät - Dikenlidüzü. Dort gibt es fünf Dörfer. Aber niemand dort besitzt auch nur einen Fußbreit Land. Alles Land gehört Abdi Aga. Die Dikenlidüzü ist eine Welt für sich mit ihren eigenen Gesetzen und Bräuchen, ganz abseits von der übrigen Welt. Die Menschen hier kennen außer ihren eigenen Dörfern so gut wie nichts von dieser Erde. Kaum einer von ihnen hat jemals die Außenwelt gesehen. So weiß auch niemand von der Dikenlidüzü, von ihren Dörfern, von ihren Menschen und deren Leben. Sogar der Steuereinnehmer läßt sich nur alle zwei, drei Jahre einmal blicken. Und der hat mit den Dörflern nichts im Sinn, denn bei denen gibt es nichts zu holen. Er geht zu Abdi Aga. Damit ist seine Pflicht erfüllt.
Das größte unter den Dörfern der Dikenlidüzü ist Değirmenoluk. Hier lebt Abdi Aga, der Grundherr. Das Dorf liegt im Osten der Ebene, am Fuße der purpurnen Felsen, die manchmal milchig-weiß, dann grünlich-silbern in einem bunten Farbenspiel schimmern.
An den Felsen steht seit eh und je eine uralte Platane mit verkrümmten, bis auf den Boden hinabreichenden Zweigen. Wenn man sich dem majestätischen Baum auf hundert, auf fünfzig Meter nähert, so rührt sich weit und breit nichts. Es herrscht eine Stille, so tief, daß einen die Furcht überschauert. Wer auf fünfundzwanzig Meter, ja sogar auf zehn Meter nahe kommt, wird dasselbe empfinden. Aber tretet nur einmal dicht an den Baum heran! Ihr werdet unter einem ohrenbetäubenden Krachen zusammenschrecken! Von Schritt zu Schritt ebbt das Getöse dann wieder ab.
Das Rauschen kommt von der Quelle des kleinen Gewässers. Eigentlich liegt die Quelle gar nicht hier, aber die Leute in dieser Gegend sagen so, und dabei ist es geblieben. Das schaumversprühende Wasser brodelt am Fuß der Felsen an die Oberfläche. Wirft man ein Stück Holz in dieses Wasser, so sieht man es nach ein, zwei Tagen, ja oft nach einer Woche noch auf dem Wasser tanzen. Es geht nicht unter. Einige behaupten sogar, auch ein hineingeworfener Stein halte sich obenauf. Der Bach kommt in Wirklichkeit von weit her, vom Akçadağ-Berg nämlich, von wo er den Duft des Majorans und des Thymians mit sich trägt, bis er sich hier unter dem Felsen verliert, um mit wütendem Kochen und Schäumen wieder ans Tageslicht zu treten.
Von hier bis zum Akçadağ türmt sich eine so steile Felslandschaft auf, daß man im ganzen Taurus kein Stückchen Land findet, das Platz für mehr als ein einziges Haus hätte. Gewaltige Kiefern und Buchen recken sich von den Felsen in den Himmel, und nur ganz selten
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