Langenscheidts Handbuch zum Glück (German Edition)
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» GLÜCK TRANSZENDIERT DIE SINNFRAGE. Wer glücklich ist, fragt nicht, warum.
Glück überwindet jeden objektiven Begriff von Zeit. ›Dem Glücklichen schlägt keine Stunde‹, heißt es bei Schiller. Glück kann nur Sekunden dauern, sich aber als gefühlte Zeit wie eine kleine Ewigkeit ausnehmen; oder es kann Monate andauern und diese wie einen kurzen Augenblick im Himmel erscheinen lassen. Und die Vorfreude weit vor der realen Zeit ist oft schöner als das glückliche Erlebnis selbst.
Glück hängt ganz eng zusammen mit Freiheit und Selbstbestimmtheit.
Es entzieht sich auf magische Weise jedem System, jeder zu direkten Intentionalität. Es kommt und geht und lässt sich nur begrenzt steuern. Da helfen keine Ratgeber, Selbstverwirklichungsseminare oder ›Be happy!‹-Beschwörungen. Es ist manchmal da, wenn wir es gerade gar nicht erwarten, und glänzt durch Abwesenheit, wenn alles nach ihm schreit – an manchem Weihnachtsfest, nach einer bestandenen Prüfung oder selbst während der Flitterwochen.
Jeder von uns kennt das: Man ist so richtig guter Dinge, ohne eigentlich zu wissen, warum. Immer wieder auch merken wir erst im Nachhinein, wie glücklich uns eine bestimmte Situation gemacht hat.
Wir können versuchen, das Glück und das Unglück zu zähmen: Lotterien und Versicherungen leben davon. Nur gelingen wird es uns nicht.
Und Glück lebt vom Unglück. Es braucht den Kontrast. Nur Glück geht nicht. Genauso wenig wie nur Schokolade essen oder immer küssen im Sonnenuntergang.«
Diese Gedanken formulierte ich zum ersten Mal im letzten Jahrtausend in einer Rede an der altehrwürdigen Harvard University und habe sie seitdem in mehr als fünfzig Reden über unser aller Glück wiederholt – mit der Bitte um Kommentar, wenn Zuhörer nicht damit einverstanden seien. Keiner hat sich kritisch gemeldet, und daher sollen diese Überlegungen der – anscheinend allgemein anerkannte – Einstieg in ein Buch sein, in dem ich mehr als dreißig Jahre Nachdenken, Forschen, Lesen und Erleben zum Thema Glück für Sie zusammenfasse. Allerdings nur der Einstieg, denn seit der Rede in Cambridge habe ich sehr viel Neues zum Thema gelernt.
Zum Beispiel zur Frage des Sinns. Viele meinen, allein im Glück – sei es das individuelle oder das möglichst vieler Menschen – könne der Sinn des Lebens liegen. Nur lässt sich das Glück
direkt nicht ansteuern. Wir erreichen es oft auf Umwegen. Nicht wer immer nur nach dem eigenen Glück fragt, erreicht es am direktesten, sondern jener, der sich auch um das Glück anderer kümmert. Das seiner Kinder, seiner Eltern, seines Partners, seiner Kollegen, seines Nachbarn oder anderer Menschen, die Hilfe und Zuwendung brauchen. Was für ein schönes Paradoxon!
In diesem Sinne liegt nicht der achthundertachtundachtzigste Ratgeber zum Glücklichsein in Ihren Händen. Seien Sie misstrauisch, wenn Ihnen jemand erzählen will, wie Sie ein glücklicher Mensch werden. Das geht nicht mit der Brechstange – genauso wenig wie Liebe, Sex oder das Einschlafen. Natürlich kenne ich all diese Bücher (die besten aktuellen finden Sie in »Vertiefen«), aber gelernt habe ich mehr aus dem Leben. Deswegen werde ich Sie im Folgenden auch nicht mit Zitaten zuschütten. Aber dieses hier ist einfach zu gut, als dass ich es Ihnen vorenthalten könnte:
»Je mehr der Mensch nach Glück jagt, umso mehr verjagt er es auch schon. Um dies zu verstehen, brauchen wir nur das Vorurteil zu überwinden, dass der Mensch im Grunde darauf aus sei, glücklich zu sein; was er in Wirklichkeit will, ist nämlich, einen Grund dazu zu haben. Und hat er einmal einen Grund dazu, dann stellt sich das Glücksgefühl von selbst ein.«
Der Gedankengang stammt von dem Psychiater Viktor Frankl, und er bringt das Dilemma der Glückssuche auf den Punkt. Glück ist kein Osterei. Wir können es nicht einfach suchen gehen. Aber wir können uns selbst und unser Leben so einrichten, dass es gern und immer wieder bei uns vorbeischaut. Und da können wir besonders häufig gemachte Fehler vermeiden. Dieses Buch will dabei helfen.
Trotzdem ist Vorsicht geboten: Die derzeitige Flut der Glücksliteratur und die darin vorherrschende Grundstimmung birgt die Gefahr, zu einer Art Glücksdiktatur zu werden. Ein Nordkorea des positiven Denkens. Das ist grundfalsch, denn vielen Menschen scheint Glück aus verschiedenen Gründen nicht vorrangig wichtig. Der eine pflegt einen gut bayerischen Grant und will ihn sich nicht nehmen lassen. Der
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