Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
ihre Ursache bezogen wird, entsteht die Anschauung der letzteren als eines Objekts . Diese Beziehung ist kein Schluß in abstrakten Begriffen, geschieht nicht durch Reflexion, nicht mit Willkür, sondern unmittelbar, nothwendig und sicher. Sie ist die Erkenntnißweise des reinen Verstandes, ohne welchen es nie zur Anschauung käme; sondern nur ein dumpfes, pflanzenartiges Bewußtsein der Veränderungen des unmittelbaren Objekts übrig bliebe, die völlig bedeutungslos auf einander folgten, wenn sie nicht etwan als Schmerz oder Wollust eine Bedeutung für den Willen hätten. Aber wie mit dem Eintritt der Sonne die sichtbare Welt dasteht; so verwandelt der Verstand mit einem Schlage, durch seine einzige, einfache Funktion, die dumpfe, nichtssagende Empfindung in Anschauung. Was das Auge, das Ohr, die Hand empfindet, ist nicht die Anschauung: es sind bloße Data. Erst indem der Verstand von der Wirkung auf die Ursache übergeht, steht die Welt da, als Anschauung im Raume ausgebreitet, der Gestalt nach wechselnd, der Materie nach durch alle Zeit beharrend: denn er vereinigt Raum und Zeit in der Vorstellung Materie , d.i. Wirksamkeit. Diese Welt als Vorstellung ist, wie nur durch den Verstand, auch nur für den Verstand da. Im ersten Kapitel meiner Abhandlung »Ueber das Sehn und die Farben« habe ich bereits auseinandergesetzt, wie aus den Datis, welche die Sinne liefern, der Verstand die Anschauung schafft, wie durch Vergleichung der Eindrücke, welche vom nämlichen Objekt die verschiedenen Sinne erhalten, das Kind die Anschauung erlernt, wie eben nur dieses den Aufschluß über so viele Sinnenphänomene giebt, über das einfache Sehn mit zwei Augen, über das Doppeltsehn beim Schielen, oder bei ungleicher Entfernung hinter einander stehender Gegenstände, die man zugleich ins Auge faßt, und über allen Schein, welcher durch eine plötzliche Veränderung an den Sinneswerkzeugen hervorgebracht wird. Viel ausführlicher und gründlicher jedoch habe ich diesen wichtigen Gegenstand behandelt in der zweiten Auflage der Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 21. Alles daselbst Gesagte hätte hier seine nothwendige Stelle, müßte also eigentlich hier nochmals gesagt werden: da Ich Indessen fast so viel Widerwillen habe, mich selbst, als Andere abzuschreiben, auch nicht im Stande bin, es besser, als dort geschehn, darzustellen; so verweise ich darauf, statt es hier zu wiederholen, setze es nun aber auch als bekannt voraus.
Das Sehnlernen der Kinder und operirter Blindgebornen, das einfache Sehn des doppelt, mit zwei Augen, Empfundenen, das Doppeltsehn und Doppelttasten bei der Verrückung der Sinneswerkzeuge aus ihrer gewöhnlichen Lage, die aufrechte Erscheinung der Gegenstände, während ihr Bild im Auge verkehrt steht, das Uebertragen der Farbe, welche bloß eine innere Funktion, eine polarische Theilung der Thätigkeit des Auges ist, auf die äußern Gegenstände, und endlich auch das Stereoskop – dies Alles sind feste und unwiderlegliche Beweise davon, daß alle Anschauung nicht bloß sensual, sondern intellektual, d.h. reine Verstandeserkenntniß der Ursache aus der Wirkung ist, folglich das Gesetz der Kausalität voraussetzt, von dessen Erkenntniß alle Anschauung, mithin alle Erfahrung, ihrer ersten und ganzen Möglichkeit nach, abhängt, nicht umgekehrt die Erkenntniß des Kausalgesetzes von der Erfahrung, welches letztere der Humische Skepticismus war, der erst hiedurch widerlegt ist. Denn die Unabhängigkeit der Erkenntniß der Kausalität von aller Erfahrung, d.h. ihre Apriorität, kann allein dargethan werden aus der Abhängigkeit aller Erfahrung von ihr: und dieses wieder kann allein geschehn, indem man auf die hier angegebene und an den soeben bezeichneten Stellen ausgeführte Art nachweist, daß die Erkenntniß der Kausalität in der Anschauung überhaupt, in deren Gebiet alle Erfahrung liegt, schon enthalten ist, also völlig a priori in Hinsicht auf die Erfahrung besteht, von ihr als Bedingung vorausgesetzt wird, nicht sie voraussetzt: nicht aber kann dasselbe dargethan werden auf die von Kant versuchte und von mir in der Abhandlung über den Satz vom Grunde § 23 kritisirte Weise.
§ 5
Man hüte sich aber vor dem großen Mißverständniß, daß, weil die Anschauung durch die Erkenntniß der Kausalität vermittelt ist, deswegen zwischen Objekt und Subjekt das Verhältniß von Ursache und Wirkung bestehe; da vielmehr dasselbe immer nur zwischen unmittelbarem und vermitteltem Objekt, also immer nur
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