Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
vollständig und erschöpfend erkannten Eigenschaften derselben (woran uns noch viel fehlt) die Welt zu konstruiren. Denn alles Entstandene ist durch Ursachen wirklich geworden, welche nur vermöge der Grundkräfte der Materie wirken und zusammenkommen konnten: diese aber müssen wenigstens objective vollständig nachweisbar seyn, wenn wir auch subjective nie dahin kommen werden, sie zu erkennen. Immer aber würde einer solchen Erklärung und Konstruktion der Welt nicht nur die Voraussetzung eines Daseyns an sich der Materie (während es in Wahrheit durch das Subjekt bedingt ist) zum Grunde liegen; sondern sie müßte auch noch an dieser Materie alle ihre ursprünglichen Eigenschaften als schlechthin unerklärliche, also als qualitates occultae , gelten und stehn lassen. (Siehe § 26, 27 des ersten Bandes.) Denn die Materie ist nur der Träger dieser Kräfte, wie das Gesetz der Kausalität nur der Ordner ihrer Erscheinungen. Mithin würde eine solche Erklärung der Welt doch immer nur eine relative und bedingte seyn, eigentlich das Werk einer Physik , die sich bei jedem Schritte nach einer Metaphysik sehnte. – Andererseits hat auch der subjektive Ausgangspunkt und Ursatz »die Welt ist meine Vorstellung« sein Inadäquates: theils sofern er einseitig ist, da die Welt doch außerdem noch viel mehr ist (nämlich Ding an sich, Wille), ja, das Vorstellungseyn ihr gewissermaaßen accidentell ist; theils aber auch, sofern er bloß das Bedingtseyn des Objekts durch das Subjekt ausspricht, ohne zugleich zu besagen, daß auch das Subjekt als solches durch das Objekt bedingt ist. Denn eben so falsch wie der Satz des rohen Verstandes, »die Welt, das Objekt, wäre doch da, auch wenn es kein Subjekt gäbe«, ist dieser: »das Subjekt wäre doch ein Erkennendes, wenn es auch kein Objekt, d.h. gar keine Vorstellung hätte«. Ein Bewußtseyn ohne Gegenstand ist kein Bewußtseyn. Ein denkendes Subjekt hat Begriffe zu seinem Objekt, ein sinnlich anschauendes hat Objekte mit den seiner Organisation entsprechenden Qualitäten. Berauben wir nun das Subjekt aller nähern Bestimmungen und Formen seines Erkennens; so verschwinden auch am Objekt alle Eigenschaften, und nichts bleibt übrig, als die Materie ohne Form und Qualität , welche in der Erfahrung so wenig vorkommen kann, wie das Subjekt ohne Formen seines Erkennens, jedoch dem nackten Subjekt als solchem gegenüber stehn bleibt, als sein Reflex, der nur mit ihm zugleich verschwinden kann. Wenn auch der Materialismus nichts weiter als diese Materie, etwan Atome, zu postuliren wähnt; so setzt er doch unbewußt nicht nur das Subjekt, sondern auch Raum, Zeit und Kausalität hinzu, die auf speciellen Bestimmungen des Subjekts beruhen.
Die Welt als Vorstellung, die objektive Welt, hat also gleichsam zwei Kugel-Pole: nämlich das erkennende Subjekt schlechthin, ohne die Formen seines Erkennens, und dann die rohe Materie ohne Form und Qualität. Beide sind durchaus unerkennbar: das Subjekt, weil es das Erkennende ist; die Materie, weil sie ohne Form und Qualität nicht angeschaut werden kann. Dennoch sind Beide die Grundbedingungen aller empirischen Anschauung. So steht der rohen, formlosen, ganz todten (d.i. willenlosen) Materie, die in keiner Erfahrung gegeben, aber in jeder vorausgesetzt wird, als reines Widerspiel gegenüber das erkennende Subjekt, bloß als solches, welches ebenfalls Voraussetzung aller Erfahrung ist. Dieses Subjekt ist nicht in der Zeit: denn die Zeit ist erst die nähere Form alles seines Vorstellens; die ihm gegenüberstehende Materie ist, dem entsprechend, ewig, unvergänglich, beharrt durch alle Zeit, ist aber eigentlich nicht ein Mal ausgedehnt, weil Ausdehnung Form giebt, also nicht räumlich. Alles Andere ist in beständigem Entstehn und Vergehn begriffen, während jene Beiden die ruhenden Kugel-Pole der Welt als Vorstellung darstellen. Man kann daher die Beharrlichkeit der Materie betrachten als den Reflex der Zeitlosigkeit des reinen, schlechthin als Bedingung alles Objekts genommenen Subjekts. Beide gehören der Erscheinung an, nicht dem Dinge an sich; aber sie sind das Grundgerüst der Erscheinung. Beide werden nur durch Abstraktion herausgefunden, sind nicht unmittelbar rein und für sich gegeben.
Der Grundfehler aller Systeme ist das Verkennen dieser Wahrheit, daß der Intellekt und die Materie Korrelata sind, d.h. Eines nur für das Andere daist, Beide mit einander stehn und fallen, Eines nur der Reflex des Andern ist, ja, daß sie eigentlich Eines
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