Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
nur ganz allgemein, der bloßen Form nach, bekannt gewordenen anschaulichen Vorstellung bei der Mathematik nach; so wird uns diese von jenen Vorstellungen nur reden, sofern sie Zeit und Raum füllen, d.h. sofern sie Großen sind. Sie wird das Wieviel und Wiegroß höchst genau angeben: da aber dieses immer nur relativ, d.h. eine Vergleichung einer Vorstellung mit andern, und zwar nur in jener einseitigen Rücksicht auf Größe ist; so wird auch dieses nicht die Auskunft seyn, die wir hauptsächlich suchen.
Blicken wir endlich auf das weite, in viele Felder getheilte Gebiet der Naturwissenschaft, so können wir zuvörderst zwei Hauptabtheilungen derselben unterscheiden. Sie ist entweder Beschreibung von Gestalten, welche ich Morphologie , oder Erklärung der Veränderungen, welche ich Aetiologie nenne. Erstere betrachtet die bleibenden Formen, letztere die wandelnde Materie, nach den Gesetzen ihres Uebergangs aus einer Form in die andere. Erstere ist das, was man, wenn gleich uneigentlich, Naturgeschichte nennt, in seinem ganzen Umfange: besonders als Botanik und Zoologie lehrt sie uns die verschiedenen, beim unaufhörlichen Wechsel der Individuen, bleibenden, organischen und dadurch fest bestimmten Gestalten kennen, welche einen großen Theil des Inhalts der anschaulichen Vorstellung ausmachen: sie werden von ihr klassificirt, gesondert, vereinigt, nach natürlichen und künstlichen Systemen geordnet, unter Begriffe gebracht, welche eine Uebersicht und Kenntniß aller möglich machen. Es wird ferner auch eine durch alle gehende, unendlich nüancirte Analogie derselben im Ganzen und in den Theilen nachgewiesen (unité de plan ), vermöge welcher sie sehr mannigfaltigen Variationen auf ein nicht mitgegebenes Thema gleichen. Der Uebergang der Materie in jene Gestalten, d.h. die Entstehung der Individuen, ist kein Haupttheil der Betrachtung, da jedes Individuum aus dem ihm gleichen durch Zeugung hervorgeht, welche, überall gleich geheimnißvoll, sich bis jetzt der deutlichen Erkenntniß entzieht: das Wenige aber, was man davon weiß, findet seine Stelle in der Physiologie, die schon der ätiologischen Naturwissenschaft angehört. Zu dieser neigt sich auch schon die der Hauptsache nach zur Morphologie gehörende Mineralogie hin, besonders da, wo sie Geologie wird. Eigentliche Aetiologie sind nun alle die Zweige der Naturwissenschaft, welchen die Erkenntniß der Ursache und Wirkung überall die Hauptsache ist: diese lehren, wie, gemäß einer unfehlbaren Regel, auf einen Zustand der Materie nothwendig ein bestimmter anderer folgt; wie eine bestimmte Veränderung nothwendig eine andere, bestimmte, bedingt und herbeiführt: welche Nachweisung Erklärung genannt wird. Hier finden wir nun hauptsächlich Mechanik, Physik, Chemie, Physiologie.
Wenn wir uns aber ihrer Belehrung hingeben, so werden wir bald gewahr, daß die Auskunft, welche wir hauptsächlich suchen, uns von der Aetiologie so wenig, als von der Morphologie zu Theil wird. Diese letztere führt uns unzählige, unendlich mannigfaltige und doch durch eine unverkennbare Familienähnlichkeit verwandte Gestalten vor, für uns Vorstellungen, die auf diesem Wege uns ewig fremd bleiben und, wenn bloß so betrachtet, gleich unverstandenen Hieroglyphen vor uns stehn. – Die Aetiologie hingegen lehrt uns, daß, nach dem Gesetze von Ursache und Wirkung, dieser bestimmte Zustand der Materie jenen andern herbeiführt, und damit hat sie ihn erklärt und das Ihrige gethan. Indessen thut sie im Grunde nichts weiter, als daß sie die gesetzmäßige Ordnung, nach der die Zustände in Raum und Zeit eintreten, nachweist und für alle Fälle lehrt, welche Erscheinung zu dieser Zeit, an diesem Orte nothwendig eintreten muß: sie bestimmt ihnen also die Stelle in Zeit und Raum, nach einem Gesetz, dessen bestimmten Inhalt die Erfahrung gelehrt hat, dessen allgemeine Form und Nothwendigkeit jedoch unabhängig von ihr uns bewußt ist. Ueber das innere Wesen irgend einer jener Erscheinungen erhalten wir dadurch aber nicht den mindesten Aufschluß: dieses wird Naturkraft genannt und liegt außerhalb des Gebiets der ätiologischen Erklärung, welche die unwandelbare Konstanz des Eintritts der Aeußerung einer solchen Kraft, so oft die ihr bekannten Bedingungen dazu dasind, Naturgesetz nennt. Dieses Naturgesetz , diese Bedingungen, dieser Eintritt, in Bezug auf bestimmten Ort zu bestimmter Zeit, sind aber Alles was sie weiß und je wissen kann. Die Kraft selbst, die sich äußert, das innere
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