Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
Epict., fragm. 25 . Man erkannte zudem aus Erfahrung, daß bloß die Hoffnung, der Anspruch es ist, der den Wunsch gebiert und nährt; daher uns weder die vielen, Allen gemeinsamen und unvermeidlichen Uebel, noch die unerreichbaren Güter beunruhigen und plagen; sondern allein das unbedeutende Mehr und Weniger des dem Menschen Ausweichbaren und Erreichbaren; ja, daß nicht nur das absolut, sondern auch schon das relativ Unerreichbare, oder Unvermeidliche, uns ganz ruhig läßt; daher die Uebel, welche unserer Individualität ein Mal beigegeben sind, oder die Güter, welche ihr nothwendig versagt bleiben müssen, mit Gleichgültigkeit betrachtet werden, und daß, dieser menschlichen Eigenthümlichkeit zufolge, jeder Wunsch bald erstirbt, und also keinen Schmerz mehr erzeugen kann, wenn nur keine Hoffnung ihm Nahrung giebt. Aus diesem allen ergab sich, daß alles Glück nur auf dem Verhältniß beruht zwischen unsern Ansprüchen und dem, was wir erhalten: wie groß oder klein die beiden Großen dieses Verhältnisses sind, ist einerlei, und das Verhältniß kann sowohl durch Verkleinerung der ersten Größe, als durch Vergrößerung der zweiten hergestellt werden: und eben so, daß alles Leiden eigentlich hervorgeht aus dem Mißverhältniß dessen, was wir fordern und erwarten, mit dem, was uns wird, welches Mißverhältniß aber offenbar nur in der Erkenntniß liegt 28 und durch bessere Einsicht völlig gehoben werden könnte. Daher sagte Chrysippos: dei zên kat' empeirian tôn physei symbainontôn ( Stob. Ed., L. 11, c. 7, p. 134), d.h. man soll leben mit gehöriger Kenntniß des Hergangs der Dinge in der Welt. Denn so oft ein Mensch irgendwie aus der Fassung kommt, durch ein Unglück zu Boden geschlagen wird, oder sich erzürnt, oder verzagt; so zeigt er eben dadurch, daß er die Dinge anders findet, als er sie erwartete, folglich daß er im Irrthum befangen war, die Welt und das Leben nicht kannte, nicht wußte, wie durch Zufall die leblose Natur, durch entgegengesetzte Zwecke, auch durch Bosheit, die belebte den Willen des Einzelnen bei jedem Schritte durchkreuzt: er hat also entweder seine Vernunft nicht gebraucht, um zu einem allgemeinen Wissen dieser Beschaffenheit des Lebens zu kommen, oder auch es fehlt ihm an Urtheilskraft, wenn, was er im Allgemeinen weiß, er doch im Einzelnen nicht wiedererkennt und deshalb davon überrascht und aus der Fassung gebracht wird 29 . So auch ist jede lebhafte Freude ein Irrthum, ein Wahn, weil kein erreichter Wunsch dauernd befriedigen kann, auch weil jeder Besitz und jedes Glück nur vom Zufall auf unbestimmte Zeit geliehn ist, und daher in der nächsten Stunde wieder zurückgefordert werden kann. Jeder Schmerz aber beruht auf dem Verschwinden eines solchen Wahns: Beide also entstehn aus fehlerhafter Erkenntniß: dem Weisen bleibt daher Jubel wie Schmerz immer fern, und keine Begebenheit stört seine ataraxia .
Diesem Geist und Zweck der Stoa gemäß, fängt Epiktet damit an und kommt beständig darauf zurück, als auf den Kern seiner Weisheit, daß man wohl bedenken und unterscheiden solle, was von uns abhängt und was nicht, daher auf Letzteres durchaus nicht Rechnung machen; wodurch man zuverlässig frei bleiben wird von allem Schmerz, Leiden und Angst. Was nun aber von uns abhängt, ist allein der Wille: und hier geschieht nun ein allmäliger Uebergang zur Tugendlehre, indem bemerkt wird, daß, wie die von uns nicht abhängige Außenwelt Glück und Unglück bestimmt, so aus dem Willen innere Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit uns selbst hervorgehe. Nachher aber ward gefragt, ob man den beiden ersteren oder den beiden letzteren die Namen bonum et malum beilegen solle? Das war eigentlich willkürlich und beliebig und that nichts zur Sache. Aber dennoch stritten hierüber unaufhörlich die Stoiker mit Peripatetikern und Epikuräern, unterhielten sich mit der unstatthaften Vergleichung zweier völlig inkommensurabeler Größen und den daraus hervorgehenden, entgegengesetzten, paradoxen Aussprüchen, die sie einander zuwarfen. Eine interessante Zusammenstellung dieser, von der stoischen Seite aus, liefern uns die Paradoxa des Cicero.
Zenon , der Stifter, scheint ursprünglich einen etwas andern Gang genommen zu haben. Der Ausgangspunkt war bei ihm dieser: daß man zur Erlangung des höchsten Gutes, d.h. der Glücksäligkeit durch Geistesruhe, übereinstimmend mit sich selbst leben solle.( homologoumenôs zên; touto d' esti kath hena logon kai symphônon zên. –
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