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Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
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Dann pumpte sie die Schläuche wieder auf und radelte weiter. Rimbach, Queck. Hier war sie oft mit Eltern und Geschwistern gewandert. Wandern: Vatis und Opa Hans-Georgs Hobby. Darin waren die beiden ein Herz und eine Seele gewesen. Wie oft waren sie unterwegs in Streit geraten über Politik! Aber über einem schönen Steinpilz hatten sie den Grund ihres Zankes vergessen können.
    In einem Garten lag ein umgestürzter Baum. Er hatte einen Zaun zerquetscht. Ein alter Mann hackte die Äste vom Stamm. In einer anderen Ecke des Gartens sammelte eine Frau Falläpfel ein. Sie hielt Janna-Berta an und fragte sie, wo sie hinwolle.
    »Nach Schlitz?« fragte sie erstaunt. »Du allein?«
    »Meine Eltern sind tot«, sagte Janna-Berta. »Aber in Schlitz steht noch das Haus von uns.«
    »Wer waren deine Eltern?« fragte die Frau und band sich ihr Kopftuch fester.
    »Die Meineckes«, sagte Janna-Berta.
    »O mein Gott«, sagte die Frau und starrte Janna-Berta an, »die Meineckes. Was ist das für eine Welt? Womit haben wir das verdient?«
    »Was fragst du, Marta«, knurrte der Alte. »Die Menschheit ist übermütig geworden. Hat alles besser wissen und besser können wollen als unser Herrgott. Sie hat einen Dämpfer nötig gehabt, den hat sie jetzt bekommen.«
    »Genau dasselbe hast du nach dem Krieg auch gesagt«, rief die Frau.
    »Eben«, sagte der Alte. »Aber der hat noch nicht genügt. Der war schon wieder vergessen. Das hab ich euch damals schon gesagt, wie der Ralf und die Leni auf Urlaub nach Marokko geflogen sind – Bauern, im Juni! Das kann nicht gutgehen, hab ich gesagt, das ist Frevel. Und wie sie das Vieh nicht mehr auf die Weide getrieben haben, hab ich's ihnen auch gesagt. Das läßt sich unser Herrgott nicht bieten.«
    »Jaja«, sagte die Frau ärgerlich, »du hast immer alles schon vorher gewußt. Du bist ja mit unserem Herrgott verschwägert.«
    Dann wandte sie sich wieder Janna-Berta zu. »Es werden noch nicht viele Leute in Schlitz sein«, sagte sie. »Wir sind auch erst seit vorgestern wieder hier. Manche kommen nur, um sich anzugucken, wie's aussieht, dann fahren sie wieder ab. Wenn du heute niemand antriffst, der sich um dich kümmert, dann komm erst mal hierher. Danach kannst du weitersehen.«
    Janna-Berta dankte, stieg wieder aufs Rad und fuhr auf Hutzdorf zu. Sie kam an dem Graben vorbei, aus dem sie und Uli damals getrunken hatten. Sie stieg ab und wusch sich die Hände, die noch schmutzig von der Erde waren. Drüben lag der Tempelberg, davor mündete die Schlitz in die Fulda. Der Nebel hatte sich gehoben. Über dem Wald erschien ein Fetzen blauen Himmels.
    Früher hatte hier Jungvieh geweidet. Jetzt gab es kein Vieh mehr im Schlitzerland. Hatte es Sinn, das Land zu bearbeiten? Würde man die neuen Ernten verzehren können? Auch kehrten nicht alle ins Schlitzerland zurück, die einmal hier zu Hause gewesen waren. Hier gab's ja keine Zukunft. Das Ländchen würde arm sein und krank.
    Janna-Berta trat heftiger in die Pedalen, obwohl sie schon fast auf den Felgen fuhr. Sie passierte die ersten Häuser von Hutzdorf, sah vor sich den Stadtberg mit den Silhouetten der Vorderburg und der Türme liegen und dachte an das Haus am Hang. Jemand rief sie an, rief hinter ihr her. War das nicht die Stimme der freundlichen Verkäuferin aus dem Metzgerladen gewesen?
    Aber sie wollte jetzt nicht aufgehalten werden. Erst mußte es durchgestanden sein, das Heimkommen, das Wiedersehen mit dem Haus, in dem niemand auf sie wartete.
    Sie holperte an den letzten Häusern von Hutzdorf, an den ersten Häusern von Schlitz vorbei, blind für alles, was sich da schon wieder bewegte, und für die Sonne, die sich in den Pfützen spiegelte. Sie bog gegenüber dem alten Bahnhof ein und keuchte den Hang hinauf. Aber das rostige Fahrrad schaffte ihn nicht. Janna-Berta sprang ab, lehnte es an die Hangmauer und ging zu Fuß weiter. Soltaus Bungalow lag still da. Die Rolläden waren herabgelassen. Auf den Stufen vor der Haustür häuften sich angewehte Zweige, raschelte dürres Laub. Die Geranien vor den Fenstern waren vertrocknet.
    Janna-Berta starrte auf die andere, die Hangseite. Dort tauchte jetzt das spitzgiebelige Haus auf, eingerahmt von Obstbäumen und Fliedergebüsch, von Ginster und Goldrute. Janna-Bertas Herz schlug schneller: Außer Oma Bertas herrlichen Geranien, die verschwunden waren, schien alles so wie immer. Sie brauchte nur die einundfünfzig Stufen den Hang hinaufzuspringen und so stürmisch zu schellen, wie sie es immer

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