Die Wuensche meiner Schwestern
und schrubbte. Sie wusch sogar ihren zahmen Igel Ichabod Van Ripper im Badezimmerwaschbecken und bürstete seine braun gesprenkelten kleinen Stacheln mit einer alten Zahnbürste, während er entrüstet vor sich hin schnüffelte. Sie versuchte zu lesen. Doch sosehr sie sich auch bemühte, ihre Hände beschäftigt zu halten, fingen ihre Finger wie von selbst an, sich zu bewegen, die Luft zu stricken.
Aubrey schlurfte in ihren Pantoffeln, die sich zu schwer zum Anheben anfühlten, den Flur entlang. Ich werde nicht lange fort sein, hatte Mariah gesagt, und ihr Schlafzimmer schien sie jeden Moment zurückzuerwarten. Die sensationelle Dahlientapete. Die altmodischen Postkarten, die im dicken Rahmen des Spiegels steckten. Der Tod war nicht als finsterer Schatten erschienen, als schwerfällige, grüblerische Angelegenheit. Der Sensenmann hatte Mariah so leicht und gedankenverloren geholt, als hätte er nur eben die Hand erhoben, um eine Mücke totzuschlagen.
Aubrey setzte sich auf Mariahs Bett, vor Kummer gebeugt, doch ohne eine Träne zu vergießen. Auf dem Nachttisch lag Mariahs letztes Projekt, eine vielfarbige Norwegerstrickmütze, noch genau so, wie Mariah sie zurückgelassen hatte, im festen Glauben, dass sie die Arbeit daran bald wiederaufnehmen würde. Aus den winzigen, gleichmäßigen Maschen tauchte das Muster aus dunklem Orange, Marineblau und Buttermilchweiß gerade erst auf. Die Mütze war kein Zauber, das wusste Aubrey. Bloß ein Zeitvertreib. Sie griff nach der angefangenen Arbeit, die im Moment noch mehr Ähnlichkeit mit einer schlaffen Frisbeescheibe ohne Mitte hatte als mit einer Mütze, und legte sie sich auf den Schoß. Wie oft hatte sie im Lauf ihres Lebens ihre Tante, mehr zu sich selbst, sagen hören: »Wo ist nur meine Schere geblieben?« Wie oft hatte sie gesehen, wie ihre Tante lose Fäden in die fertigen Arbeiten hineinsteckte, Anfänge und Enden verbarg?
Ohne Mariah und ohne ihre Schwestern lag Aubreys Zukunft in der Strickerei so lang und trostlos vor ihr wie ein winterlicher Schatten.
Sie dachte: Mari … Ich bin noch nicht bereit.
Wenn es tatsächlich Schicksalsgöttinnen gab, diese vorzeitlichen Schwestern, die das Leben der Menschen mit Schnur und Faden ausmaßen, dann waren sie Aubrey dank des tief in ihrer DNA verankerten Wissens wohlvertraut:Frauen, die färbten und spannen, Frauen, die Fasern mit prüfendem Blick durch die Finger gleiten ließen, Frauen, die abschätzten und abschnitten, Dinge besprachen, ihre Scheren niederlegten und dann – nur für einen Moment – vergaßen, wo.
Aus dem Großen Buch im Flur
Wir dürfen niemals stricken, wenn wir traurig, hoffnungslos oder zornig sind. Unsere Maschen füllen sich mit unseren Gedanken und Gefühlen, daher müssen wir vorsichtig sein. Segen erteilen wir oft mit lautem Getöse – unsere Herzen rufen Gott und das Universum an und verkünden: »Sei gepriesen!« Unser Segen beglückt uns, da wir ihn voller Freude aussprechen.
Doch Flüche entstehen nicht immer aus einer dramatischen Situation heraus, wie wenn König Lear mit gen Himmel gereckter Faust und vernichtenden Worten auf den Lippen in den Sturm hinauseilt. Nein – Flüche rutschen einem ganz leicht heraus. Wir brummen sie täglich vor uns hin: an den Fahrer gerichtet, der uns die Vorfahrt nimmt, in langen Schlangen an der Supermarktkasse, uns selbst gegenüber, wenn wir etwas so Belangloses tun, wie einen Stift fallen zu lassen.
Wir können einen Fluch in unserem Herzen herumtragen wie die kleine Klette, die sich im Herbst in der Socke eines Wanderers verfängt. Ein Fluch ist so heimtückisch wie eine winzige neue Sommersprosse, wie eine einzige schwarze Ameise, die ein ganzes Zuckerglas verunreinigt. Aus diesem Grund dürfen wir nicht stricken, wenn wir schlechtgelaunt oder traurig sind. Sonst könnte ein Fluch oder auch nur der kleinste schlechte Wunsch weitergegeben werden.
Kapitel 3
Nimm zwei Maschen auf
Mit dem zweiten Freitag im Oktober kam der Regen nach Tarrytown: Der Himmel war grau, der Hudson River hatte sich in Zinn verwandelt, die Regentropfen, die sich an die Eisenträger der Tappan Zee Bridge klammerten, verliehen ihnen ein melancholisches Aussehen, und die Bäume waren Grau-in-grau-Skizzen aus Blei und Kohle.
Als Bitty ihren Sohn und ihre Tochter weckte, schüttete es wie aus Kübeln. Sie schliefen auf dem Rücksitz des Minivans; Carson hatte das Gesicht gegen das Fenster gepresst, so dass sein Atem weiße Flammen auf der mit Regentropfen
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