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Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Titel: Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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öfters zu gehen pflegt, wenn man in Eile ist: Schloß und Schlüssel waren widerwillig, und es dauerte eine gute Weile, bis der Student wieder in sein Zimmer zurückkam.
    Als er über die Schwelle trat, stieß er einen lauten Schrei aus. In der Eile, mit der er hinausgegangen war, hatte er die Tür seines Zimmers hinter sich offen gelassen, und das Fenster am Schreibtisch war auch offen gewesen. Dadurch war ein heftiger Zug entstanden, und jetzt sah der Student die losen Blätter des Manuskripts zum Fenster hinauswirbeln. Mit einem großen Satz war er am Schreibtisch und legte die Hand auf die Blätter. Aber es war nicht mehr viel zu retten: höchstens zehn bis zwölf Blätter lagen noch auf der Tischplatte, alle andern flatterten, vom Wind getrieben, über die Dächer und Höfe hin.
    Der Student bog sich weit zum Fenster hinaus und sah den Blättern nach. Auf dem Dach vor dem Mansardenfenster saß ein schwarzer Vogel, der ihn mit spöttischer Überlegenheit ansah. „Ist das nicht ein Rabe?“ dachte der Student. „Man sagt doch, die Raben bedeuteten Unglück.“
    Einige von den Blättern lagen noch auf dem Dache, und so hätte er vielleicht wenigstens noch einen Teil des verlorenen Gutes retten können, wenn das Tentamen nicht gewesen wäre. Nun aber meinte er, er müsse sich in erster Linie um seine eignen Angelegenheiten kümmern. „Es handelt sich ja um meine ganze Zukunft,“ dachte er.
    Er warf sich in seinen schwarzen Anzug und stürzte zu dem Professor. Unterwegs mußte er immerfort an das verlorene Manuskript denken. „Das ist eine recht ärgerliche Geschichte,“ dachte er. „Wie schade, daß ich in so großer Eile war!“
    Der Professor begann das Examen; aber der Student konnte an nichts andres denken, als an das verlorene Manuskript. „Was sagte doch der arme Kerl?“ dachte er. „Sagte er nicht, er habe fünf Jahre lang an dem Buch gearbeitet und wäre nicht imstande, es noch einmal zu schreiben? Ach, woher soll ich nun den Mut nehmen, ihm zu gestehen, daß es mir abhanden gekommen ist?“
    Der Student war sehr aufgeregt und höchst unglücklich über sein Mißgeschick mit dem Manuskript und konnte sich auf nichts besinnen. Alle seineKenntnisse waren wie weggeblasen. Er hörte nicht, was der Professor fragte, und hatte auch keine Ahnung, was er antwortete. Der Professor war ganz entsetzt über eine solche Unwissenheit und konnte nichts andres tun, als ihn durchfallen lassen.
    Als der Student wieder auf die Straße kam, war er unglückselig. „Jetzt entgeht mir die gute Stelle!“ dachte er. „Und wer ist ganz allein schuld daran? Dieser alte Bücherwurm! Warum mußte er auch gerade heute mit seinem Werk daherkommen? Aber so geht es, wenn man immer gefällig ist.“
    In diesem Augenblick sah der Student den, an den er eben dachte, auf sich zukommen. Er wollte ihm natürlich nicht sagen, daß ihm das Manuskript abhanden gekommen sei, ehe er einen Versuch gemacht hätte, es wieder zu erlangen, und suchte deshalb stillschweigend an ihm vorübergehen. Aber der andre wanderte ganz betrübt und niedergedrückt daher und dachte nur immerfort, was der Student wohl über sein Buch sagen werde. Als dieser nun mit einem unfreundlichen Kopfnicken vorübereilte, wurde er von einer grenzenlosen Angst erfaßt. Er hielt ihn am Ärmel fest und fragte ihn, ob er schon ein wenig in das Manuskript hineingesehen habe.
    „Ich komme eben von meinem Tentamen,“ antwortete der Student und wollte rasch weitergehen. Aber der andre glaubte, er weiche ihm aus, damit er ihm nicht sagen müsse, wie wenig ihm das Manuskript gefallen habe. Ach, da war ihm, als müsse ihm das Herz brechen! Diese Arbeit, der er fünf Jahre seines Lebens geopfert hatte, war also ganz wertlos! Tief betrübt sagte er zu dem Studenten: „Höre nun, was ich dir sage. Lies mein Buch, so rasch du kannst, und dann teile mir mit, was du darüber denkst; aber wenn es nichts wert ist, verbrenne es, dann will ich es gar nicht mehr sehen.“
    Nach diesen Worten ging er hastig davon. Der Student sah ihm nach und wollte ihn zurückrufen, besann sich dann aber anders und lenkte seine Schritte heimwärts.
    Hier angekommen, zog er rasch seinen Werktagsanzug wieder an und eilte fort, nach den verlorenen Blättern zu suchen. Er suchte in den Straßen, auf den freien Plätzen und in den Gärten. Dann suchte er in den Höfen, ja er ging sogar weit vor die Stadt hinaus; aber er fand nicht ein einziges Blatt.
    Nachdem er ein paar Stunden ununterbrochen gesucht

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