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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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Redner war, schwieg ebenfalls. Irgendetwas war geschehen. Das konnte er nicht leugnen. In seinem Bauch machte sich ein komisches Gefühl breit. War es Spannung? Neugier? Oder doch eher Furcht? Aber wovor? Dass diese Sache, die Agnes Schubert als »das Grauen« bezeichnet hatte, ihn genauso aus der Bahn werfen würde wie sie? Er versuchte sich einzureden, dass die Frau, die da zusammengesunken neben ihm saß, einfach nur ein hysterisches Weib war, das um jeden Preis versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen.
    Aber irgendetwas lag in der Luft. Nichts Konkretes. Nur ein Gefühl, das er nicht einordnen konnte. Eine Vorahnung, die ankündigte, dass in wenigen Minuten nichts mehr so sein würde wie am Tag zuvor.
    Morell parkte seinen Wagen vor der Kirche und stellte den Motor ab. »Warten Sie hier im Auto auf mich«, sagte er zu Frau Schubert. »Ich sehe mir das mal an und komme gleich zurück. Sollte Inspektor Bender in der Zwischenzeit hier auftauchen, schicken Sie ihn bitte zu mir.« Agnes Schubert antwortete nicht, sondern ergab sich einem neuerlichen Heulkrampf.
     
    Sie waren nur zu zweit im Landauer Polizeirevier. Chefinspektor Otto Morell und der 26 -jährige Inspektor Robert Bender, der vor zwei Jahren seine Ausbildung zum Polizeibeamten beendet hatte
und seitdem Morells Assistent und Stellvertreter war. Bender, der regelmäßig im Fitnesscenter trainierte, war alles andere als ein dünner Zwerg, aber neben der imposanten Statur seines Vorgesetzten fühlte er sich klein und schmächtig. Wenn er sich hinter Morell stellte, war er so gut wie unsichtbar. Was Bender außerdem zu schaffen machte, war die Tatsache, dass er viel jünger aussah, als er tatsächlich war. Vor kurzem hatte er sich, in der Hoffnung, dadurch optisch ein paar Jahre dazuzugewinnen, seine blonden Haare raspelkurz schneiden lassen. Zwar ließ ihn seine neue Frisur tatsächlich ein wenig älter wirken, aber sobald Morell auf der Bildfläche erschien, fühlte er sich wieder wie ein kleiner Junge. Bender wusste oft nicht, was er von Morell halten sollte. Er empfand viel Respekt und Bewunderung für seinen Chef, aber manchmal, wenn Morell schon nach einigen Metern zu Fuß keuchte und schwitzte, fand er ihn furchtbar peinlich.
    Die Kriminalität in der kleinen Gemeinde Landau war, abgesehen von ein paar Geschwindigkeitsübertretungen, ein bisschen Randale am Dorffest und ein paar Halbwüchsigen, die manchmal Marihuana rauchten, gleich null. Das kleine Drei-Zellen-Gefängnis des Ortes stand so gut wie immer leer.
    Morell war in der Polizeiakademie stets einer der Besten gewesen. Nach sechs Jahren Dienstzeit entschied er sich für eine weiterführende Ausbildung bei der Kriminalpolizei in Wien. Mit etwas mehr Sport und ein bisschen weniger Appetit hätte er eine steile Karriere vor sich gehabt. Für sein zartes Gemüt waren der anstrengende Alltag und die schrecklichen Dinge, mit denen er als Kriminalbeamter konfrontiert wurde, jedoch zu hart. Also beschloss er nach dem Tod seiner Eltern, die Karriere an den Nagel zu hängen, das Haus zu übernehmen und in seinem Heimatdorf Landau ein gemütliches Beamtendasein zu führen. Durch sein stattliches Auftreten und seine imposante Gestalt vermittelte Morell so viel Autorität, dass er so gut wie nie laut werden musste. Er genoss den Respekt der Einwohner. Er mochte seine Arbeit. So etwas wie
heute war ihm hier noch nie passiert – zum ersten Mal in seiner Zeit als Polizist in Landau fürchtete er sich.
     
    Die Kirche St. Peter und Paul stand am oberen Ende des Ortskerns. Vor dem alten Bauwerk, das Mitte des 19 . Jahrhunderts im neuromanischen Stil umgestaltet wurde, befand sich der große Marktplatz, auf dem viele Dorffeste und ein wöchentlicher Bauernmarkt stattfanden. Von hier aus konnte man das Gotteshaus durch das große Hauptportal betreten. Seitlich um das Gebäude herum erstreckte sich der Friedhof des Ortes, der von einer steinernen Mauer begrenzt wurde.
    Morell öffnete zaghaft das große schmiedeeiserne Tor, das den Hauptzugang zum Friedhof darstellte. Außer diesem Tor gab es noch eine kleine Pforte im hinteren Teil der Anlage, die aber selten benutzt wurde.
    Er ging langsam. Bei jedem Schritt knirschten der frischgefallene Schnee und die Kieselsteine, mit denen die Friedhofswege bestreut waren, unter seinen Schuhen.
    Morell wusste, wo sich das Baugerüst der Restaurierungsfirma, von dem Agnes Schubert gesprochen hatte, befand. Durch das Läuten der Glocken wurde der Glockenturm regelmäßig in

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