Die Zahl
vorbei.
Doch dabei fängt es jetzt erst richtig an!
»Nun hilft Euch nur noch eine Zwölf,
oder Eure Kirche bekommt nie wieder einen Turm.«
Wie Greifenhain zu zwei Kirchtürmen kam, Deutsche Sage
Sie stank! Jedes Mal, wenn sie auftauchte, hinterließ sie einen undefinierbaren Mief aus Haarspray, Parfüm, Klebstoff und Bratenfett. Sie, das war Agnes Schubert, 42 Jahre alt, vollbusige Dauerwellenträgerin, begeisterte Köchin, von Beruf Handarbeitslehrerin, ehrenamtlich als Küsterin tätig und sehr zu ihrem Leidwesen immer noch unverheiratet.
Ständig versuchte sie Otto Morell, 40 Jahre alt, Junggeselle und seines Zeichens Chefinspektor bei der Polizei von Landau, davon zu überzeugen, dass sie die perfekte Frau für ihn wäre. Morell war in ihren Augen ein richtiges Prachtexemplar von einem Mann. 1 , 95 m groß mit sehr viel Klasse und mindestens genauso viel Masse. Leider, das musste Morell sich selbst eingestehen, basierte seine enorme Körperfülle nicht auf Muskeln, sondern eher auf Fettpolstern. Genau das war es aber, was Agnes Schubert besonders ansprach. Der leidenschaftliche Hobbykoch und passionierte Gärtner war in ihren Augen ein kuscheliger Brummbär, der dringend eingefangen werden musste. Zu ihrer Idealvorstellung passte auch sein volles braunes Haar, das, wie bei einem richtigen Bären, nicht nur am Kopf, sondern so gut wie überall auf seinem Körper
spross. Seine beherrschte Art und seine innere Ruhe waren das Tüpfelchen auf dem i. Manch anderer hätte Chefinspektor Morell als trägen Phlegmatiker, fetten Langweiler oder lahme Schlaftablette beschrieben. Agnes Schubert aber fand ihn schlicht und ergreifend einfach nur sexy.
Sie tauchte ungefähr einmal pro Woche unter irgendwelchen fadenscheinigen Vorwänden in Morells Büro auf. Ein komisch dreinblickender Landstreicher, ein paar Jugendliche, die zu schnell mit ihren Mopeds unterwegs waren, oder eine verschwundene Katze. Irgendeinen Grund fand sie immer, um bei ihm auf der Bildfläche zu erscheinen und ihr pralles Dekolleté in Szene zu setzen. Letzten Dienstag war es ein viel zu schnelles Auto mit einem fremden Kennzeichen gewesen – wobei in Landau, einem kleinen 5000 -Einwohner-Kaff in den Tiroler Alpen, alles als fremd galt, das mehr als zehn Kilometer von der Ortsgrenze entfernt lag.
Bisher hatte Chefinspektor Morell, höflich und friedliebend wie er nun einmal war, alles über sich ergehen lassen. Agnes Schuberts ständige Besuche in seinem Büro sowie ihre dummen Vorwände und plumpen Versuche, einen Flirt mit ihm zu starten. Aber hier und jetzt ging sie zu weit! Es war Sonntagmorgen, eigentlich fast noch Sonntagnacht – nicht einmal halb sieben. Aber was noch viel wichtiger war – das hier war nicht sein Amtszimmer, das hier war sein Haus, sein eigenes, privates, ganz persönliches Reich.
Otto Morell war noch nicht ganz wach, immerhin hatte Frau Schubert ihn mit ihrem Läuten und Klopfen aus seinem wohlverdienten Schlaf gerissen. Es dauerte darum einige Momente, bis er realisierte, dass anscheinend irgendetwas passiert sein musste. Agnes Schubert war ungeschminkt, und die sonst so sorgfältig zurechtgemachten Haare hingen ihr fransig ins Gesicht.
Morell bemerkte erst beim zweiten Hinsehen, dass Bröckchen von Erbrochenem in ihren Haarsträhnen klebten. Sie keuchte und rang nach Luft. Anscheinend war sie schnell gerannt. Sie versuchte etwas zu sagen, brachte aber kein Wort heraus.
Morell wusste nicht genau, was er von der Situation halten sollte. Entweder war etwas Schreckliches geschehen oder es war ein neuer Trick von ihr, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Beide Möglichkeiten sagten ihm nicht besonders zu.
Er zögerte kurz, beschloss dann aber, seiner Rolle als Freund und Helfer gerecht zu werden und trat einen Schritt zur Seite. »Kommen Sie herein, Frau Schubert, ich mache Ihnen einen Tee und dann erzählen Sie mir in aller Ruhe, was los ist.« Er wartete, bis Agnes Schubert eingetreten war, und schloss die Tür hinter ihr. Innerlich nahm er sich fest vor, dass er ihr endlich einmal ordentlich die Meinung sagen würde, sollte sich herausstellen, dass dies nur einer ihrer Vorwände war, um sich an ihn ranzumachen.
»Folgen Sie mir«, sagte er und begann gemächlich die imposante Treppe hochzusteigen, die in den ersten Stock führte. Das große, zweistöckige Haus mit der strahlend weißen Fassade und den Blumenkästen vor den Fenstern hatte Otto Morell von seinen Eltern geerbt, und es gab niemanden, mit dem
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