Die Zeit, die Zeit (German Edition)
bereits die Zahl elf.
Auch hier stand gemäß den Fotos eine Vase mit Blumen. Astern. Sie waren aus dem Garten und mussten deshalb weinrot gewesen sein. Es gab dort keine anderen. Auch sie würde die Floristin bald bringen. Zusammen mit den Margeriten fürs Wohnzimmer.
Im Arbeitszimmer notierten sie sich ein paar Trophäen, die noch minimal verrückt werden mussten.
Als sie das Wohnzimmer betraten, stieß Angela einen Schrei aus. Das Rundkissen auf dem Sessel war nach vorn gekippt. Die Klöppel waren zu schwer gewesen und hingen jetzt über den Rand des Sitzpolsters. »Mit Glück anderthalb Stunden«, schätzte Angela die Zeit für die Wiederherstellung.
Die Küche war jetzt nicht mehr Arbeits- und Aufenthaltsort. Der Campingtisch war weg, Lauras Computer und Elektronik wieder in Talers Wohnung. Auf dem Linoleum des Küchentischs lagen sechs Boskop-Äpfel neben einem Brett mit einem Küchenmesser. Die sechs Boskop waren die Ausbeute einer Auswahl aus sechzig Kilo, hatte der Mitarbeiter, der sie nach der Fotovorlage ausgesucht hatte, stolz erklärt.
Im Waschbecken lagen die Stielabschnitte von neun Astern und – im richtigen Winkel zum größten davon – die schwarz angelaufene eiserne Gartenschere. Auf dem Boden neben dem Herd stand eine Einkaufstüte des Quartierladens, der vor Jahren von Juanitos übernommen und zu neuer Blüte gebracht worden war. Das Kunststück seiner Wiederbeschaffung war Angela gelungen. Sie hatte den vormaligen Besitzer ausfindig gemacht, der als verbitterter Magazinarbeiter bei einem Großverteiler kurz vor der Pensionierung stand.
Sie gingen in den Keller. Als Erstes fiel Taler der Schraubstock auf. Er war wieder auf die Werkbank montiert. Das Stück, das gefehlt hatte, war der Drehteller. Damit ließ sich der Schraubstock um die eigene Achse drehen und in der gewünschten Position mit einem Spindelschlüssel fixieren.
»Wo hast du den gefunden?«, fragte Taler.
»Betrio hat ihn aufgetrieben.«
Die Dunkelkammer war wieder ein einziger Raum. Er roch nach Fotochemikalien. Die Chromfläche der Fototrocknerpresse spiegelte die rote Birne. In ihrem schummrigen Licht schimmerten die Entwicklerschalen, Trichter und Messbecher. Der altmodische Vergrößerer dämmerte vor sich hin wie eine Statue in einer vergessenen Kapelle.
Knupp machte Licht. Sie verglichen auch hier die Positionen der Gegenstände mit den Vorgaben auf den Fotos und Plänen.
Als sie ins Erdgeschoss zurückkehrten, war der Korridor lichtdurchflutet. Die Sonne hatte den Nebel aufgelöst und zeigte den Künstlern ihr Werk in strahlendem Licht.
Knupp humpelte andächtig durch die Räume, gefolgt von Angela und Peter. »Ja«, flüsterte er immer wieder, »ja, so war es damals.«
Sie gingen ins Wohnzimmer, auf Zehenspitzen und mit angelegten Armen, um auch ja nichts zu berühren. Taler öffnete ein Fenster bis zu den feinen Bleistiftmarkierungen auf dem Sims, die die Winkel der Flügel bezeichneten.
Was sie sahen, war genau die Welt, die sie von Knupps Fotos kannten. Aber bunt und dreidimensional.
Draußen legte da und dort ein Gärtner letzte Hand an. Die Ausstatter luden Requisiten ab, die mit ihrer Hilfe noch eingemessen werden mussten. Auf dem Parkplatz gegenüber wurde gerade der Fiat auf die Kreidemarken eingepasst, die Taler und Betrio gestern Abend noch angebracht hatten.
»Ja, so. Genau so«, wiederholte Knupp ergriffen.
Plötzlich wurde die Idylle gestört. Eine Frau öffnete das Gartentor. Es fiel ihr nicht leicht, denn sie ging am Stock und trug in der anderen Hand einen Gegenstand.
»Sophie?«, sagte Knupp.
Es war die Nachbarin aus der Villa Latium. Sie hatte die drei Beobachter am Fenster noch nicht bemerkt und ging entschlossen quer über den Rasen.
»Sophie!«, rief Knupp. Sie sah zu ihnen herüber. Taler konnte jetzt auch den Gegenstand erkennen. Es war eine neue Heckenschere mit leuchtend roten Griffen.
Sie antwortete nicht, sondern ging schnurstracks auf den Zwergahorn am Rand des Sitzplatzes zu.
Peter Taler wurde schlagartig klar, was sie vorhatte. »Stopp!«, schrie er und rannte los.
Auch Knupp und Angela reagierten. »Sophie, nicht!«, rief Knupp. Und Angela schrie einem der Gärtner zu, der vor einem Beet kauerte: »Mario! Halt sie zurück!«
Der Gärtner sprang auf und rannte auf die alte Frau zu. Er erreichte sie gleichzeitig mit Peter Taler.
Aber beide kamen zu spät. Sophie Schalbert war mit der Heckenschere schon dreimal in die zierliche Krone des Bäumchens gefahren, bevor sie
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