Die Zwanziger Jahre (German Edition)
nach dem Fall der Mauer und den damit verbundenen politischen Veränderungen in Europa sein Erscheinungsbild verändert, auch im Fußball. Die Gewichte haben sich in den osteuropäischen Bereich verlagert, durch die zahlreichen neuen Staaten, die dort entstanden sind, haben sich auch die Mehrheitsverhältnisse geändert. Neue Koalitionen bilden sich, um Mehrheiten zu beschaffen, das ist nicht verwerflich. Also müssen sich auch die Mittel- und Nordeuropäer abstimmen, um taktische Fragen in ihrem Sinne beantworten zu können, Koalitionen bilden und Mehrheiten schaffen, damit nicht eines Tages alle Turniere in Osteuropa stattfinden. In meiner Amtszeit in der Uefa -Exekutive haben wir die kleineren Turniere von der U17 aufwärts und im Frauenbereich so ausgestattet, dass sie auch für Länder attraktiv sind, die wissen, dass sie nie eine Europameisterschaft der Männer ausrichten können. Heute erleben wir schon bei Wahlen, dass es immer neue Koalitionen gibt. Und, ehrlich gesagt, das ist ja im DFB nicht anders, wo die Verbände aus dem Süden, dem Westen oder dem Osten sich zusammentun, um ihre Interessen durchzusetzen.
Die nächste Europameisterschaft 2016 findet bekanntlich mit 24 statt 16 Mannschaften statt. Diese Entscheidung fiel, bevor ich Mitglied im Exekutivkomitee der Uefa wurde, mein Vorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder war strikt dagegen. Die Uefa hat dafür viel Kritik einstecken müssen; von einer unsinnigen Aufblähung des Turniers ist die Rede und davon, dass Michel Platini sich damit die Unterstützung der kleineren Länder erkaufen will.
An diesem Vorwurf mag ja sogar etwas dran sein, aber ich finde, es gibt mehr als nur sportpolitische Gründe, die diese Erweiterung sinnvoll erscheinen lassen. Die neuen Staaten, die seit dem Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens entstanden sind, sehnen sich nach Erfolgen im Sport. Länder wie die Ukraine, Georgien und Lettland, aber auch Slowenien, Makedonien oder Bosnien möchten ebenfalls gern bei der EM mitspielen und haben im Vergleich mit den Etablierten bewiesen, dass sie zumindest dicht dran sind an der europäischen Spitzenklasse. Ich glaube, dass das Niveau einer Europameisterschaft auch bei 24 Teilnehmern nicht leidet. Man denke nur an die Länder, die sich nicht für das Turnier in Polen und der Ukraine qualifiziert haben: Belgien, Österreich, die Schweiz, die Türkei, Bulgarien, Norwegen oder die Slowakei, um nur ein paar renommierte Fußballnationen zu nennen.
Die Erweiterung der Europameisterschaft ist auch unter wirtschaftlichen Gründen sinnvoll. Dank der Zentralvermarktung durch die Uefa schneiden alle Teilnehmerländer finanziell gut ab und können das eingenommene Geld in vernünftige Entwicklungs- und Infrastrukturmaßnahmen stecken. Gerade in Osteuropa ist da noch eine Menge zu tun.
Eine EM mit 24 Mannschaften bedeutet auf der anderen Seite aber, dass es immer weniger Länder gibt, die solch ein Turnier ausrichten können. Selbst große Fußball-Nationen wie Italien oder Spanien, die als Gastgeber durchaus mal wieder an der Reihe wären, können in der aktuellen wirtschaftlichen Situation ein solches Projekt nicht alleine stemmen. Deshalb ist es geradezu die Pflicht des Uefa -Präsidenten, über Alternativen nachzudenken.
Von seinem Vorschlag, das Endturnier nicht mehr in einem oder zwei Ländern, sondern in den großen Stadien der europäischen Metropolen auszutragen, war auch ich überrascht, aber ich würde Platini deshalb nicht, wie viele andere es tun, von vornherein hart kritisieren. Die Ausrichtung einer Europameisterschaft ist für das Gastgeberland nicht nur Lust, sondern wird immer mehr zur Last. Für das Turnier 2020 steht die Türkei bereit, doch wenn Istanbul im selben Jahr die Olympischen Sommerspiele ausrichten darf, wird das Land sich nicht auch noch die EM aufbürden können.
Was Platini anregt, bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als in Regionen statt in Nationalstaaten zu denken. Was uns in einem immer mehr zusammenwachsenden Europa nicht allzu schwerfallen sollte. Auch in Polen und der Ukraine hatten Mannschaften und Fans etliche tausend Kilometer zwischen den Spielorten zurückzulegen. Warum soll eine Europameisterschaft dann nicht in einem regionalen Verbund über Staatsgrenzen hinweg stattfinden können? Die Zukunft Europas liegt nicht in weniger Europa, sondern in mehr europäischer Identität. Das nationale Denken wird zunehmend überwunden, ohne dass die nationale kulturelle Identität verloren geht, wozu auch
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