Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Geschäft zuständigen Kollegen zur Seite stellen. Wenigstens für eine Übergangszeit.
Darum also geht es an diesem 8. Juli in der Bibliothek. Dutzende Journalisten, bewaffnet mit Kameras, Mikrofonen und Kugelschreibern, belagern an diesem schwülen Sommertag die DFB -Zentrale in der Otto-Fleck-Schneise, einen Steinwurf entfernt von der WM -Arena im Frankfurter Stadtwald. Fotografen versuchen auf allen erdenklichen Wegen, Bilder aus der Bibliothek zu schießen, in der vagen Hoffnung, MV und mich beim Duell zu erwischen.
Doch sie haben Pech, so weit kommt es nicht. Wohl wird es auch mal laut, die Positionen sind zu unterschiedlich, wir kommen nicht voran. Mayer-Vorfelder ist sich keiner Schuld bewusst und kann nicht verstehen, warum er das Amt, das er so liebt, teilen oder gar völlig aufgeben soll. Als erfahrener Politiker weiß er, dass eine Kampfabstimmung Spuren hinterlassen wird, egal, wie sie ausgeht, und er baut darauf, dass seine Gegner, die das auch wissen, eher klein beigeben als er selbst. Andere in der Runde bezweifeln, ob ein Duo an der Spitze des Verbands funktionieren kann.
Und Franz Beckenbauer sieht nur den Imageschaden, den der Führungsstreit im DFB anrichten kann. Als Chef des Organisationskomitees gilt seine ganze Sorge der WM , die wir in zwei Jahren ausrichten, er will verhindern, dass sein Baby durch »diesen Mist« Schaden nimmt. Ob MV bleibt oder geht, ist ihm im Grunde egal, für ihn zählt, dass bald wieder Ruhe herrscht. Aber eine Lösung hat er auch nicht parat. So dreht sich die Diskussion im Kreis, und wenn es scheint, als könnten wir uns einigen, bringt uns die Frage nach der Verteilung der Kompetenzen wieder auseinander.
Stunde um Stunde vergeht, irgendwann fordern die vielen Tassen Kaffee, die ich wieder mal getrunken habe, ihren Preis. Als ich vor dem WC stehe und über Auswege aus der Misere grübele, öffnet sich die Tür. Herein kommen Franz Beckenbauer und Gerhard Mayer-Vorfelder und diskutieren heftig, ob Hackmanns Idee die Lösung sein kann. Ist es dieses durchaus spezielle Ambiente oder schlicht die Tatsache, dass wir endlich mal unter sechs Augen reden können? »Also gut«, sagt Beckenbauer und mustert uns beide von der Seite, »dann macht’s halt diese Doppelspitze. Ihr schafft das schon, und wir können uns endlich wieder um die WM kümmern.« MV und ich schauen uns an und nicken. Einem Kaiser widerspricht man nicht. Schon gar nicht an diesem Ort.
Mit Beckenbauers Segen wird sie also geboren, die erste Doppelspitze in der mehr als hundertjährigen Geschichte des DFB . Zurück in der Bibliothek, geht dann alles plötzlich ganz schnell. MV erklärt sich bereit, mich fortan als Geschäftsführenden Präsidenten neben sich zu akzeptieren, nicht ahnend, wie schwer ihm das in der Folgezeit immer wieder fallen wird. Ich selbst bin erleichtert, dass endlich Klarheit herrscht.
Noch ist mir nicht bewusst, dass das öffentliche Echo auf die Doppelspitze nur einen Vorgeschmack auf das bietet, was mich in den kommenden Jahren erwartet. Die Reaktionen in der Presse auf unseren Beschluss sind skeptisch bis vernichtend: Vom »faulen Kompromiss« ist die Rede und von einer »Schein-Lösung«, in einem hämischen Kommentar heißt es: »Mayer-Vorfelder gibt der WM 2006 sein Gesicht, er wird als strahlender Präsident im Fernsehen auftreten – während Zwanziger am Schreibtisch sitzt und die Arbeit erledigt.« Trotz aller Miesmacherei: Die Zukunft wird zeigen, dass die Entscheidung richtig war.
Aber wie kam es überhaupt dazu, dass der DFB -Präsident in seinem eigenen Verband so sehr unter Beschuss geriet, dass es Beckenbauers spezieller Diplomatie bedurfte, um die Führungskrise zu lösen? Mein persönliches Verhältnis zu Mayer-Vorfelder nach seiner Wahl zum DFB -Präsidenten 2001 und meiner parallelen Berufung zum Schatzmeister war intakt. Auf gewisse Weise ergänzten wir uns gut. Sein Interesse galt dem Profifußball und der Nationalmannschaft – unter seiner Ägide wurde nach der EM 2000 die Nachwuchsförderung neu organisiert , ein Grund dafür, dass unsere Nationalmannschaft heute so erfolgreich ist.
Ich hingegen konzentrierte mich darauf, das Verhältnis zwischen dem DFB und seinen Landes- und Regionalverbänden zu pflegen, ich rief soziale und gesellschaftliche Projekte ins Leben und sorgte für ein transparentes Finanzgebaren, wie es ja eigentlich die Aufgabe des Schatzmeisters ist. Erstmals in der DFB -Geschichte hielt ich 2004 eine Bilanzpressekonferenz ab, um zu
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