Diebe
ist darauf getrimmt, wie eine Ratte zu rennen, hüpft über Abfall, über Flaschen und Dosen, und ihre Füße huschen so leicht und flink dahin, dass die schwerfällig hinter ihr herlaufenden Männer fast meinen, sie könne fliegen.
Dann platzt sie ins Licht der nächsten Straße wie der Korken aus einer Flasche und prallt gradewegs gegen den Bauch eines Polizisten, der sie fest packt in der Erwartung, sie würde schreien und sich winden, aber stattdessen macht sie sich auf einmal so steif wie eine Holzpuppe. Der Polizist grunzt überrascht und lockert seinen Griff, aber da tritt sie plötzlich nach ihm, schwingt das Bein mit Wucht nach oben und reißt sich los. Wieder stößt der Mann ein Grunzen aus, doch diesmal klingt es eher wie Stöhnen, denn Baz hat ihn an einer empfindlichen Stelle getroffen. Und schon ist sie wieder auf und davon, die Straße hinunter, mitten durch den dichten Verkehr. Sie huscht und schlängelt sich einfach hindurch. Eine Sirene beginnt zu heulen, doch in diesem Verkehrschaos kommt sie nicht näher. Baz hüpft über Stoßstangen und stößt sich an Motorhauben ab. Alles brüllt und hupt, aber es könnte sein, dass die Fahrer sich über den stockenden Verkehr mindestens so aufregen wie über dieses rennende Mädchen.
Baz hat Glück. Und das weiß sie. Nirgends ist ein Motorrad oder ein Streifenwagen zu sehen, und auch keiner der Polizeihubschrauber, von ihr und Demi »Schmeißfliegen« genannt, brummt am Himmel. Sie kann einfach dahinrennen, sie muss nicht keuchen und bekommt auch kein Seitenstechen, denn das Rennen macht ihr Spaß. Sie und Demi rennen andauernd, teils zur Übung, teils weil sie einfach gerne um die Wette laufen, und Demi hat inzwischen reichlich Mühe, sie in Schach zu halten, denn Baz ist verdammt schnell.
Baz hält sich an Seitenstraßen, kurvt um einen Platz, wo es an der einen Ecke so aussieht, als hätten sich alle Straßenbahnen hier zum Ausruhen zusammengefunden, und läuft dann weiter. Die kleine Schachtel haftet in ihrer Hand wie Klebstoff. Das ist der Gewinn, der glückliche Gewinn. So ist das Leben. Mal hat man Glück, mal hat man Pech. Und wenn einem das Glück über den Weg läuft, dann muss man schnell schalten und nicht erst lange nachdenken, man muss das Glück packen und dann loslaufen, schnell wie der Wind oder wie ein Messer, das durch die dicke, stickige Luft gleitet.
Inzwischen trabt Baz nur noch. Als sie eine Straßenbahn erspäht, die in Richtung Barrio fährt, springt sie, wie Demi ihr beigebracht hat, hinten auf und hält sich mit einer Hand fest. Zum ersten Mal dreht sie sich um, sieht aber bloß Autos, Busse und Passanten, die ihren eigenen Geschäften nachgehen und sich nicht um das Mädchen kümmern, das aussieht wie ein Junge und sich hinten an eine Straßenbahn gehängt hat, wie es manche Jugendliche eben gern tun.
Irgendwo wettert jetzt eine reiche Dame gegen räuberische und nichtsnutzige Kinder, die mindestens hinter Schloss und Riegel gehörten, aber Baz macht sich wegen ihr keine Gedanken. Dafür denkt sie an das niedliche kleine Mädchen und hofft, dass sie ihm eines Tages begegnet, damit sie ihm das niedliche Gesicht in den Staub drücken kann. »Du bist schuld, dass der Greifer mich geschnappt hat, Kleine. Pech für dich, dass ich viel zu fix bin für den. Mich bringt so schnell keiner ins Schloss!«
Einmal ist Demi mit Baz losgezogen, um ihr das Schloss zu zeigen. Es liegt im dritten Bezirk, und manche sagen, das ist der Ort, von wo die Hölle in die Stadt kommt. Baz gibt nichts auf solches Gerede, aber die hohen grauen Mauern und das bedrohlich aussehende Tor haben ihr überhaupt nicht gefallen. Demi behauptet, nachts könne man das Schloss stöhnen hören. Eines Nachts ist Baz alleine hingegangen, bloß um zu sehen, ob er die Wahrheit gesagt hatte. Sie hat kein Stöhnen gehört, aber sie konnte fühlen, dass dieser Ort so voll von Schmerz war, dass es ihr kalt den Rücken runterlief. Nie hat sie jemandem erzählt, dass sie noch einmal dort war.
Baz entspannt sich und lächelt. Sie ist frei und schaukelt auf der hinteren Querstange der Straßenbahn. Warum soll sie sich über so ein verzogenes Balg ärgern? Das Mädchen hat ihr ja nichts weggenommen. Anders als im Barrio – dort versucht jeder, einem das wegzunehmen, was man hat.
Bevor die Straßenbahn kreischend am Agua-Platz, der Haltestelle am Rande des Barrio, einfährt, springt Baz ab und geht auf die Marktstände zu. Zwanglos bleibt sie stehen, bückt sich, als ob sie
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