Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diebin der Zeit

Diebin der Zeit

Titel: Diebin der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
Vom Netzwerk:
an?
    Aber der Verdacht, daß dieses Fehlverhalten der ansonsten gehorsamen Diener mit dem Einzug einer unbenennbaren, feindseligen Kraft in die Stadt zusammenhing, nahm immer konkretere Formen in Ravaillacs Denken an, auch wenn es noch keinerlei Anhaltspunkt gab, wer oder was denn eigentlich diese auf Vampire so abschreckende Kraft verströmte .
    Es mutete an wie eine Naturgewalt. Wie ein Strom extremer polarer Kälte, gegen den die sterblichen Pariser Bürger auf absonderliche Weise gewappnet schienen, nicht jedoch die unsterblichen Machthaber.
    Die Stadt selbst, alles darin, war eine fremde geworden.
    Eine unbekannte Wildnis.
    Ein tödlicher Dschungel!
    Bisher waren wir die Bestien darin, dachte Ravaillac. Aber jemand macht uns diese Rolle streitig. Wer? Wer besitzt solche Macht...?
    Insgeheim fürchtete er die Antwort.
    Trotzdem kämpfte er sich weiter durch die Böen, die niemand außer ihm zu spüren bekam. Winde, die ihm wie der Odem eines Fabeltiers entgegenbliesen .
    Kurz vor der Stadtgrenze erlosch Ravaillacs Kraft der Verwandlung abrupt.
    Aus fünf Metern Höhe stürzte er auf eine mit Pflastersteinen begradigte Straße und blieb eine Weile vollkommen betäubt liegen, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren.
    Über ihm spannte sich ein Himmel voller höhnischer Lichter.
    Die Stille machte ihm solche Angst, daß das träge Herz in seiner Brust völlig außer Rand und Band geriet! Erschüttert lauschte Ra-vaillac dem nie erlebten stakkatoartigen Pochen.
    Er wußte nicht, wie lange er gelegen hatte, ehe er sich aufrappelte und die Wurzeln seiner Schmerzen erkundete.
    Bleibende Schmerzen .
    Wie geschieht mir?
    Warum half und heilte sich sein Körper nicht wie gewohnt?
    Ravaillac war Jahrhunderte alt, aber noch nie hatte er es erlebt, daß die Hülle, die ihm klaglos dienen mußte, sich verweigerte wie ein launisches Weib . eib . ib . b .
    Ravaillacs Denken drohte zu gerinnen. Er kniff die Augen zusammen und spähte in die Richtung der Stadt, von deren ersten Häusern ihn nur noch ein Steinwurf trennte.
    Es hätte ebensogut ein halber Erdumfang sein können! Plötzlich wußte er, daß er sie nicht erreichen konnte. Nie wieder .
    (Nie wieder, Racoon!)
    Grau vor Entsetzen wandte er sich ab. Seine Knochen, die der widerspenstigen Hülle zeitlebens Halt verliehen hatten, fühlten sich mehr und mehr an wie sprödes, allzu leicht zerbrechliches Porzellan. Daß sie bei dem Aufprall nicht einfach zerschellt waren, grenzte rückblickend an ein Wunder.
    Es gibt keine Wunder! Wozu gibt es UNS?
    Er hatte immer geglaubt, es gäbe nur sie . Bis zuletzt hatte er auf irgendeine, ganz gleich wie abstruse, aber natürliche Erklärung gehofft für die Hysterie, die sie aus ihrer behaglichen Ruhe gerissen hatte .
    Ravaillac wankte wie ein Gespenst durch die Macht.
    Ihm war schlecht. Sein Innerstes rebellierte, und dann ... begann er auch noch zu erblinden!
    Vielleicht erlosch nicht wirklich sein Augenlicht, aber auf jeden Fall die Fähigkeit, im Dunkeln zu sehen!
    Er stöhnte. Er ballte die Fäuste und warf einen Blick über die Schulter, wo die Stadt in undurchdringlichen Schatten versank.
    Und plötzlich fragte eine Stimme, eine Stimme so rein und klar und voller süßer Versprechungen, ganz nah an seinem Ohr: »Wohin willst du mitten in der Nacht? Kann ich dir helfen? Du zitterst ja, als sei der Leibhaftige hinter dir her .«
    Ravaillac fuhr herum.
    Nichts.
    Nur Schwärze, die dort, woher die Stimme gekommen war, noch dichter, noch greifbarer schien als anderswo.
    »Zeig dich!« keuchte er. »Ich kann dich nicht sehen! Wer bist du?«
    »Nur eine kleine Dirne«, sagte die Stimme. »Eine, die nicht wählerisch ist .«
    Nicht wählerisch? Bezog sich diese Bemerkung auf ihn?
    Ravaillac bezähmte das Verlangen, vorzustürzen und seine Hände um den Hals der Frau zu schließen, zuzudrücken, so fest, daß der Knorpel ihres Kehlkopfs .
    »Hast du ein paar Münzen? Wenn ja, kannst du mit mir kommen. Ich verkürze dir die Nacht . Keine Angst, es macht mir nichts aus, wie du aussiehst. Ich hatte schon Kunden, die starben, während sie auf mir lagen. Das gehört zum Gewerbe. Was ist? Werden wir uns einig?«
    Ravaillac fletschte die Zähne. Er nahm all seine Kraft zusammen, und tatsächlich gelang ihm die Andeutung einer Metamorphose. Seine eben noch von saugender Schwäche gebeugte Gestalt straffte und begradigte sich. Die Nägel seiner Finger und die Hände selbst wuchsen, zogen sich in die Länge, krümmten sich zu unruhig zuckenden

Weitere Kostenlose Bücher