DIESES MAL IST ALLES ANDERS
in ständigem Zahlungsverzug, und Österreichs Bilanz ist in gewisser Hinsicht sogar noch erstaunlicher. Zwar war die Entwicklung der internationalen Kapitalmärkte vor 1800 ziemlich beschränkt, dennoch zählen wir die zahlreichen Zahlungsausfälle Frankreichs, Portugals, Preußens, Spaniens und der frühen italienischen Stadtstaaten auf. Am Rande Europas haben auch Ägypten, Russland und die Türkei ihre eigene Historie an chronischen Zahlungsausfällen.
Eine der faszinierenden Fragen, die in diesem Buch erhoben werden, lautet: Warum ist es einer relativ kleinen Zahl an Ländern, wie zum Beispiel Australien und Neuseeland, Kanada, Dänemark, Thailand und den USA, gelungen, Auslandsschuldenkrisen zu vermeiden, während viele andere Länder ihre Auslandsschulden aufgrund von Zahlungsausfällen nicht begleichen konnten?
Asiatische und afrikanische Finanzkrisen wurden bisher weitaus weniger untersucht als die Krisen in Europa oder Lateinamerika. Tatsächlich wird die weitverbreitete Überzeugung, heutige Auslandsschuldenkrisen seien ein Phänomen, das sich auf Lateinamerika und einige wenige arme europäische Länder beschränkt, von dem Mangel an Informationen genährt. Wie wir sehen werden, hat das präkommunistische China seine Auslandsschulden mehrfach nicht beglichen, und sowohl das moderne Indien als auch Indonesien sind in den 1960er-Jahren beide in Zahlungsverzug geraten – lange vor der ersten Nachkriegsrunde der lateinamerikanischen Zahlungsausfälle. Das postkoloniale Afrika weist eine Bilanz an Zahlungsausfällen auf, die den Anschein erweckt, als lege sie es darauf an, alle früheren aufstrebenden Ökonomien zu übertreffen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass eine systematische quantitative Betrachtung der postkolonialen Zahlungsausfallsbilanzen Asiens und Afrikas die Vorstellung als falsch entlarvt, die meisten Länder seien in der Lage gewesen, die Gefahren einer Auslandsschuldenkrise zu vermeiden.
Der beinahe universelle Charakter des Phänomens der Staatsschuldenkrisen wird in Teil II deutlich, in dem wir anhand von Tabellen und Grafiken auf Basis unseres Datensatzes die Geschichte der Staatsschuldenkrisen und Finanzkrisen in breiten Zügen darstellen. Ein Punkt, der sicherlich aus der Analyse hervorsticht, ist der Umstand, dass die ruhige Periode in den Jahren vor der jüngsten globalen Finanzkrise (2003–2008), in der die Regierungen ihren Schuldenverpflichtungen im Allgemeinen nachgekommen sind, alles andere als die Norm gewesen ist.
Die Geschichte der Inlandsstaatsschulden (das heißt im Inland emittierte Staatsschulden), vor allem in Schwellen- und Transformationsländern, wurde von zeitgenössischen Wissenschaftlern und Politikern weitgehend ignoriert (das gilt selbst für offizielle Datenlieferanten wie den Internationalen Währungsfonds); sie schienen das verbreitete Auftreten dieser Krisen zu Beginn des 21. Jahrhunderts als verblüffendes Phänomen zu betrachten. Wie wir jedoch in Teil III zeigen, haben die Inlandsstaatsschulden in Schwellen- und Transformationsländern in zahlreichen Perioden eine ausgesprochen große Bedeutung gehabt. Sie tragen potenziell dazu bei, eine ganze Reihe an Rätseln zu lösen, die mit Phasen der Hochinflation und Schuldenkrisen verbunden sind. Wir betrachten die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Daten über Staatsschulden als lediglich eine Facette der generell geringen Transparenz, mit der die meisten Regierungen ihre Bücher führen. Man denke nur an die impliziten Garantien, die den Hypothekeninstituten gegeben wurden, die massenhaft Hypotheken verkauften, was den tatsächlichen Umfang der US-Staatsschulden im Jahr 2008 letztlich um viele Milliarden Dollar erhöht hat, und an die vielen Milliarden Dollar der außerbilanziellen Transaktionen der US-Notenbank sowie die impliziten Garantien, die mit der Entscheidung verbunden sind, die »Giftpapiere« aus den Bankbilanzen herauszulösen – von den ungedeckten Renten und medizinischen Verpflichtungen gar nicht zu reden. Der Mangel an Transparenz über die Staatsschulden ist endemisch; die Schwierigkeit, grundlegende historische Daten über Staatsschulden zu beschaffen, ist dagegen fast schon komisch.
Teil III des Buches versucht, die Episoden offenkundiger Inlandsschuldenkrisen sowie der Umschuldung von Inlandsschulden über mehr als ein Jahrhundert zu katalogisieren. (Die Vernachlässigung der Geschichte der Inlandsschulden seitens der Wissenschaftler führte – wenig überraschend – auch zu
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