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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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deshalb niemand etwas? Mussten wir erst warten, bis sie tot war, bevor wir Colin helfen konnten?
    Meine Augen flogen panisch zwischen Colin und ihr hin und her. Paul und Gianna schwiegen wie versteinert, ohne sich von Tessas Anblick lösen zu können. Nur Tillmann seufzte bei jedem Atemzug tief und gepeinigt auf, als würde eine stählerne Faust sein Herz zerquetschen – und als würde er genau dann atmen, wenn Tessa es tat. Nach und nach verebbte das Zucken in ihrem schmächtigen und doch so schwellenden Leib. Die rötlichen Haare auf ihren Handrücken fielen wie auf einen Schlag aus. Ihre Gesichtszüge glätteten sich, verloren alles Dämonische, als wäre es nie da gewesen. Schließlich, nach endlos langen Sekunden, klappten ihre Lider herab. Ein letzter Atemzug erschütterte ihre und Tillmanns Brust. Es war vorüber. Endlich war es vorüber.
    Vor uns lag nur noch eine tote, hässliche, uralte, kleine Frau. Eine hoffentlich für immer tote, hässliche, uralte, kleine Frau. Doch auf die Gewissheit, dass sie wahrhaftig für alle Ewigkeit tot war, konnte ich nicht warten. Colin war wichtiger. Noch war er am Leben und hing wie die anderen mit seinen Augen an Tessa. Schmerzte ihn seine Wunde denn gar nicht?
    »Paul! Mach etwas! Du bist Arzt, du musst ihn retten! Rette ihn, er stirbt!«, rief ich heiser. Wieso tat niemand was?
    »Muss er nicht«, widersprach Colin mit hohler Stimme, ohne seine Aufmerksamkeit von Tessa abzuwenden. »Funktioniert nicht, das mit dem Suizid. Ich liebe mich nicht.« Mit einer schnellen Bewegung zog er den Dolch aus seiner Brust und riss sich das Hemd vom Leib. Binnen Sekunden begann die klaffende Wunde zu versiegen. Colin lachte bitter auf. Er hatte es nicht anders erwartet.
    »Aber warum – warum tust du so etwas? Warum!?« Ich wollte auf ihn einschlagen, um ihn zur Vernunft zu bringen, aber es gelang mir nicht einmal, meine Hände zu Fäusten zu ballen.
    Voller Abscheu vor sich selbst sah Colin mich an und ein müdes, freudloses Lächeln krümmte seinen Mund. »Ihr hattet einen Punkt vergessen, Elisabeth. Schmerz öffnet die Seele. Wo war der Schmerz? Wo war er?«
    Ich fand nicht, dass das der richtige Augenblick war, mir Vorwürfe zu machen. Eben noch hatten sie alle mich töten wollen. Zumindest hatte ich das gedacht. Ich war überzeugt davon gewesen! Warum, konnte ich mir nicht sinnvoll erklären. Aber ich hatte Angst um mein Leben gehabt und diese Angst war real gewesen. Niemand hätte mich vom Gegenteil überzeugen können. Erst der Dolch in Colins Herzen und die kleine Tablette hatten dieses Gefühl in die Flucht gejagt. Colin wartete gar nicht erst auf eine vernünftige Antwort.
    »Für eine Mutter ist es das Schlimmste, wenn sie ihr Kind verliert, oder?« Er warf den Dolch achtlos weg. »Sie sollte glauben, dass ihr genau das passiert. Dass ihr Kind stirbt.«
    Ihr Kind. Colin. Ich stöhnte erschauernd auf. Er hatte sich töten wollen, um Tessa töten zu können. Für uns … und für sich selbst. Aber er war nicht gestorben. Gott sei Dank, er war nicht gestorben. Colin war noch hier.
    Und Tessa? Was war mit ihr? War sie wirklich tot? Hatten wir es geschafft, obwohl Colin gar nicht gestorben war? Hatte es ausgereicht, dass sie geglaubt hatte, ihr Kind zu verlieren?
    Ich rutschte auf den Knien zu ihr hinüber, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Hinter mir begann Gianna leise und abgehackt zu schluchzen, und als habe sie dieses Geräusch wieder zum Leben erweckt, schlug Tessa mit einem Mal die Augen auf.
    Wir erstarrten. Keiner von uns wagte etwas zu sagen. Nur Gianna schluchzte weiter, obwohl sie versuchte, es zu unterdrücken. Ich rückte noch näher an Tessa heran. An dem Schatten über ihrem Körper konnte ich sehen, dass Tillmann sich hinter mich gestellt hatte und ebenfalls auf sie hinunterschaute. Vielleicht war die Bewegung ihrer Lider nur eine verspätete Reaktion ihrer Nerven gewesen, so wie die Beine einer Spinne zuckten, die man gerade zertreten hatte. Doch ich blickte in andere Augen als zuvor. Sie waren immer noch sumpfig grün, aber einfältig und stumpf, ohne jegliche übersinnliche Boshaftigkeit. Und eines wusste ich mit vernichtender Sicherheit: Diese Augen lebten. Denn sie sahen mich direkt an.
    Ein Laut löste sich aus Tessas verschleimter Kehle; ich konnte nicht deuten, ob es ein Wort war oder vielleicht sogar ein Satz, es klang eher wie ein Katarrh, aber es konnte auch eine fremde Sprache gewesen sein.
    »Was hat sie gesagt?«, brach meine Stimme dünn und

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