DRACHENERDE - Die Trilogie
inne – so wie auch dem Herzen, das in kleine Stücke geschnitten wurde, die man bei ablandigem Wind ins Meer warf, sodass sie hinaus in die Bucht von Winterborg trieben und dort von den Beißern und anderem Fischgetier, das die nördliche See bevölkerte, gefressen wurden.
Während der Rest des Seemammutskeletts zur Fertigung von Gebrauchsgegenständen des täglichen Bedarfs benutzt wurde und so manches Rückgrat als First eines Langhauses und so manche Rippe als dessen Türbogen seine letzte Bestimmung fand, ließ man die Schädel weitestgehend unangetastet – bis auf die Stoßzähne, denn die waren die legitime Trophäe des Jägers, und das Fleisch, zumal vor allem Hirn und Zunge der Seemammuts als Delikatesse galten.
Den Schädelknochen aber ließ man am Strand, und um sich mit dem Geist des Seemammuts zu versöhnen, brachte man ihm Opfer dar und betete ihn an. Vor allem erhoffte man sich dadurch Unterstützung gegen die Gefahr durch die Wassermenschen, die in der wärmeren Jahreszeit immer wieder Angriffe auf die Siedlungen der Seemannen wagten. Der warme Meeresstrom aus dem Süden brachte die Wassermenschen in die Gefilde des Nordens, wo man zumindest während der klirrend kalten Winter Ruhe vor ihnen hatte, denn der Schnee- und Eisgott Fjendur war ihr Feind. Der Geruch eines frisch erlegten Seemammuts lockte die Wassermenschen an, das war jedem bekannt, der auf die Jagd nach den Meeresriesen ging. Und schon deshalb war es für jeden Seemammutjäger wichtig, dass nicht nur der Meeresgott Njordir ihm gewogen war, sondern auch der eisige Fjendur, den die Wassermenschen fürchteten wie sonst kaum etwas Anderes.
Rajin sah die Menschen von Winterborg auf den Kaimauern und Landungsstegen stehen und den erfolgreichen Jägern zujubeln. Insbesondere galt dieser Jubel ihm, dem Mann, der den Meeresriesen letztlich erlegt hatte. Doch täuschte er sich, oder fiel die Freude diesmal verhaltener aus, als Rajin es sonst erlebt hatte? Vielleicht bildete er sich das auch nur ein, weil er davon ausging, dass ihn zumindest ein Teil der Bevölkerung Winterborgs nicht anerkannte.
Das Omen der Drachensichtung lastet auf ihren Seelen!, ging es ihm durch den Sinn. Ein Zeichen des Unheils, das man unweigerlich mit ihm, Bjonn Dunkelhaar, in Verbindung brachte. Allein die unverkennbar drachenische Augenform! Rajin konnte den Menschen von Winterborg ihr Misstrauen nicht einmal verübeln. Er selbst hätte nicht anders empfunden, wäre er an ihrer Stelle gewesen. Und davon abgesehen ahnte er tief in seinem Innern längst, wie begründet dieses Misstrauen ihm gegenüber war.
Vielleicht wäre es das Beste gewesen, einfach wegzugehen. Wulfgar Wulfgarssohn und seine Sippe hatten ihn als Findling aufgenommen und großgezogen. Rajin war ihnen zu großem Dank verpflichtet, und er sah es als seine Pflicht an, jedwedes Unglück von ihnen fernzuhalten. Nie hätte er es sich verziehen, wäre seinetwegen denjenigen, die so viel für ihn getan hatten, etwas zugestoßen.
„Hör auf, dich zu grämen!“, meldete sich der Weise Liisho zurück, und obwohl Rajin ihn nur in Gedanken hörte, war es ihm, als spräche Liisho in strengem Tonfall. „Erwarte deine Bestimmung, anstatt dich in Selbstzweifeln zu ergehen, Unwissender!“
Rajin hatte auf einmal das Gefühl, als würden ihn zwei dunkle mandelförmige Augen durchdringend anstarren. Ihr Blick schien bis auf den Grund seiner Seele zu dringen. Ein Blick, den er schon von klein auf kannte und von dem er lange Zeit angenommen hatte, es wäre sein eigener geistiger Blick, mit dem er selbst sein Innerstes betrachtete, um sich misstrauisch zu prüfen.
Aber inzwischen war er zu der Erkenntnis gelangt, dass sowohl Stimme als auch Gesicht des Weisen Liisho keineswegs nur Widerspiegelungen seiner eigenen verworrenen, widerstreitenden Gedanken und Gefühle waren. Liisho war eine wirklich existierende Person. Er lebte – irgendwo jenseits des Horizonts – jenseits der Grenzen des Seereichs. Vielleicht existierte er in einer der fantastisch anmutenden Städte Drachenias, die er Rajin in ungeheuer real erscheinenden Visionen gezeigt hatte. Und möglicherweise gebot er über den Willen von Drachen, die ihn als ihren Herrn und Reiter akzeptierten und über die Ebenen und schroffen Gebirge des Drachenlandes trugen …
Du nennst mich einen Unwissenden – aber hättest du nicht die Macht, dies zu ändern?, entgegnete Rajin in Gedanken. Vielleicht wurde es Zeit, dass er sich gegen die geheimnisvolle Macht zur
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