Drei Dichter ihres Lebens
Buchhändler läßt sich jedenfalls die Folianten kommen, sie werden von Fachleuten durchgelesen: man kann sich denken, wie sie begeistert sind. Daraufhin wird das Manuskript sofort erworben, übersetzt, wahrscheinlich gröblich entstellt, mit Feigenblättern überklebt und für den Gebrauch adjustiert. Beim vierten Bändchen skandaliert der Erfolg schon dermaßen laut, daß ein findiger Pariser Pirat das deutsch übersetzte französische Werk abermals ins Französische rückübersetzt – also doppelt verballhornt –; nun wird Brockhaus seinerseits ehrgeizig, schießt der französischen Übersetzung eine eigene französische Rückübersetzung in den Rücken – kurz, Giacomo, der Verjüngte, lebt wieder so lebendig als nur je in allen seinen Ländern und Städten, nur sein Manuskript wird feierlich begraben im Eisenschrank der Herren Brockhaus, und Gott und Brockhaus wissen vielleicht allein, auf welchen Schleichwegen und Diebswegen sich die Bände in den dreiundzwanzig Jahrenumgetrieben, wieviel davon verloren, verstümmelt, kastriert, gefälscht, verändert wurde; als rechtes Casanova-Erbe riecht die ganze Affäre penetrierend nach Geheimnis, Abenteuer, Unredlichkeit und Schiebung, aber welch erfreuliches Wunder schon dies, daß wir diesen frechsten und vollblütigsten Abenteuerroman aller Zeiten überhaupt besitzen!
Er selbst, Casanova, hat nie ernstlich an das Erscheinen dieses Monstrums geglaubt. »Seit sieben Jahren tue ich nichts anderes als meine Erinnerungen schreiben«, beichtet einmal. der rheumatische Eremit, »und es ist für mich allmählich ein Bedürfnis geworden, die Sache zu Ende zu bringen, obwohl ich sehr bereue, sie angefangen zu haben. Aber ich schreibe in der Hoffnung, daß meine Geschichte niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken werde, denn abgesehen davon, daß die niederträchtige Zensur, dieses Löschhorn des Geistes, den Druck niemals erlauben würde, so hoffe ich in meiner letzten Krankheit so vernünftig zu sein und alle meine Hefte vor meinen Augen verbrennen
zu lassen.« Glücklicherweise ist er sich treu geblieben, Casanova, und niemals vernünftig geworden, und sein »sekundäres Erröten«, wie er einmal sagt, nämlich das Erröten darüber, daß er nicht erröte, hat ihn nicht gehindert, kräftig in die Palette zu greifen und Tag für Tag zwölf Stunden mit seiner schönen, runden Schrift immer neue Foliobogen voll zu fabulieren. Waren diese Erinnerungen doch »das einzige Heilmittel, um nicht wahnsinnig zu werden oder vor Ärger zu sterben – vor Ärger über die Unannehmlichkeiten und täglichen Scherereien von Seiten der neidischen Halunken, die sich zusammen mit mir auf dem Schlosse des Grafen Waldstein befinden«.
Als Fliegenklappe gegen die Langeweile, als Heilmittel gegen intellektuelle Verkalkung, ein bescheidenes Motiv, beim Zeus, um Memoiren zu verfassen; aber mißachten wir die Langeweile nicht als Impuls und Impetus der Gestaltung. Den Don Quichotte verdanken wir den öden Kerkerjahren des Cervantes, die schönsten Blätter Stendhals den Jahren seines Exils in den Sümpfen von Civitavecchia; nur in der Camera obscura, dem künstlich verdunkelten Raum, entstehen die farbigsten Bilder
des Lebens. Hätte Graf Waldstein den guten Giacomo nach Paris oder Wien mitgenommen, wacker gefüttert und ihn Frauenfleisch riechen lassen, hätte man ihm die Honneurs d'esprit in den Salons erwiesen, sowären diese ergötzlichen Erzählungen bei Schokolade und Sorbett verplaudert worden und niemals in Tinte
geronnen. Aber der alte Dachs sitzt und friert allein im böhmischen Pontus, und so erzählt er gleichsam schon rückgewendet aus dem Totenreich. Seine Freunde sind gestorben, seine Abenteuer vergessen, niemand erweist ihm mehr Achtung und Ehre, niemand hört ihm zu, so übt der alte Zauberer, einzig um sich selbst zu beweisen, daß er lebt oder wenigstens gelebt hat – »vixi, ergo sum« –, noch einmal die Kabbalistenkunst, vergangene Gestalten zu beschwören. Hungrige nähren sich vom Bratenduft, Invalide des Krieges und des Eros vom Erzählen der eigenen Abenteuer. »Ich erneuere das Vergnügen, indem ich mich daran erinnere. Und ich verlache vergangene Not, denn ich fühle sie nicht mehr.« Nur sich selbst rückt Casanova den bunten Guckkasten Vergangenheit, dies Kinderspielzeug des Greises, zurecht, er will eine elende Gegenwart vergessen durch farbige Erinnerung. Mehr will er nicht, und gerade diese vollkommene Gleichgültigkeit gegen alles und alle gibt seinem
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